Vom Papier ins Fahrerlager: Design-Guru Adrian Newey im Interview
Du hast gesagt, dass du bereits im Alter von sechs Jahren wusstest, dass du Renningenieur werden wolltest. Warst du einer dieser Schüler, der ständig seine Hefte vollkritzelte?
Ich fürchte, das war ich, vor allem in den Fächern, die mich nicht interessiert haben. Das ging sogar so weit, dass ich in Französisch durchgefallen bin, weil ich die ganze Zeit nur Rennautos in meine Hefte gezeichnet habe.
Zeichnest du heute immer noch mit Bleistift und Papier?
Ich bin sozusagen der letzte Dinosaurier in der Formel 1, der noch mit Zeichenbrett arbeitet. Für mich ist es das, womit ich aufgewachsen bin, also fühlt es sich an wie die erste Sprache, die man lernt. Wenn ich auf ein computergestütztes System (CAD-System) umsteigen würde, hätte ich das Gefühl, dass es immer meine zweite Sprache wäre. Ich könnte dann nicht mehr so frei und effizient arbeiten.
Wie würdest du deine Arbeit beschreiben? Siehst du dich eher als Designer oder Ingenieur?
Es ist definitiv ein Mix. Design ist ein sehr weit gefasster Begriff. In der Automobilbranche ist Design das Styling eines Autos, nicht die Technik. Und das, was man dort als Technik bezeichnen würde, nennen wir im Rennsport Design. Wenn mich also jemand nach meiner Berufsbezeichnung fragen würde, würde ich sagen, ich bin ein Design-Ingenieur. Damit verbinde ich Kreativität mit Technik.
Der aktuelle RB19 ist nicht nur schnell, sondern sieht auch fantastisch aus...
Bei allem, was wir an einem Rennwagen machen, geht es letztlich nicht um Ästhetik. Die Skizzen, die Ideen und alles andere -- das Endziel muss immer sein, dass das Auto schneller ist. Und dazu haben wir den ultimativen Prüfer: die Stoppuhr. Vielleicht unterscheiden wir uns genau dadurch von allen anderen Definitionen von Design.
Könntest du den Arbeitsprozess näher beschreiben? Lässt du deine Gedanken einfach schweifen und siehst, was dabei herauskommt?
In der Regel geht es darum, ein bestimmtes Problem zu lösen. Zunächst beginne ich damit, dieses Problem in meinem Kopf durchzudenken. Dann mache ich meine ersten Skizzen. Wenn ich es dann auf Papier habe, kommt der Radiergummi genauso oft zum Einsatz wie der Bleistift. Denn wenn man erst einmal anfängt, eine richtige Skizze anzufertigen, merkt man schnell, dass gewisse Dinge nicht passen oder anders gemacht werden könnten. Also überarbeite ich sie immer wieder, oft mehrmals und entwickle sie weiter.
Und dann?
Dann kann es sein, dass ich meine Skizzen für ein paar Stunden, ein paar Tage oder sogar Wochen liegen lasse. Der Verstand ist ein erstaunliches Phänomen. Ich habe schon häufig festgestellt, dass das Unterbewusstsein immer weiter an einem Problem arbeitet, und dann plötzlich, unter der Dusche oder bei etwas ähnlich Banalem, taucht die zündende Idee auf. Dann setze ich mich wieder an meine Skizze. Nachdem die Grundidee oder das erste Konzept freihändig festgehalten wurde, kommt das Zeichenbrett zum Einsatz, wo ich dann beginne, den ersten technischen Entwurf anzufertigen.
Helfen diese technischen Zeichnungen bei der Kommunikation mit dem Rest des Team?
Ja. Ich bin nur einer von vielen herausragenden und talentierten Ingenieuren hier. Wir arbeiten alle zusammen. Ich bin ein bisschen ein Eigenbrötler, weil ich mich für Dinge engagiere, bei denen ich das Gefühl habe, dass ich neue Ideen einbringen oder Akzente setzen kann. Dann ist es der gleiche Prozess, den ich gerade beschrieben habe. Wenn ich dann so weit fertig bin, gibt es zwei oder drei Leute, die meine Bleistiftzeichnungen in das CAD-System übertragen.
Wie fühlt es sich an, wenn die eigenen Ideen in die Realität umgesetzt werden?
Das ist sehr befriedigend. Ich denke, für das gesamte Team hier ist es ein großartiges Gefühl, wenn die Entwürfe oder Gedanken zum Auto, für die sie verantwortlich waren, schließlich Gestalt annehmen.
Nach all diesen Jahren im Motorsport schaffst du es immer noch innovativ zu sein. Was ist deiner Meinung nach der Schlüssel zu neuer Inspiration?
Beobachtung und Neugierde auf das, was einen umgibt. Ich denke, es ist immer wichtig, die Augen offen zu halten und sich umzusehen. Manchmal kommt die Inspiration am Flughafen, wenn man ein Flugzeug betrachtet und sich denkt: "Das ist aber ein interessantes Feature". Oder bei einer Hängebrücke -- es kann alles Mögliche sein. Ich denke, man muss einfach neugierig bleiben. Neugierde führt auf natürlichem Wege zu Beobachtung.
Es ist immer wichtig, die Augen offen zu halten und sich umzusehen.
Die Formel 1 hält einen zweifellos auf Trab, aber wie sieht's in der Freizeit aus - gehst du im Alltag auch kreativen Tätigkeiten nach?
Die Zeit ist ein Problem. Gelegentlich greife ich auch zu Hause zum Stift, und wenn ich das tue, dann macht es mir Spaß. Meine Mutter war eine begeisterte Hobbykünstlerin, ebenso wie meine beiden Großmütter. Mein Bruder ist auch semiprofessioneller Künstler, die künstlerische Ader liegt also eindeutig in der Familie.
Hast du Tipps für jemanden, der Rennwagen zeichnen möchte?
Das erste ist Neugier -- Neugier und Beobachtung. Schau dir andere Autos an, sei es in der Formel 1 oder in einem völlig anderen Bereich, der dich interessiert. Und stelle dir die Frage: "Warum machen die das? Was machen sie?" Dann fertige eine Skizze davon an.
Wenn man eine Skizze oder ein Doodle anfertigt, dann macht man das meistens auf einem Blatt Papier. Autos und andere Objekte sind dreidimensional. Wenn man also in 2D zeichnet, muss man versuchen, es in 3D zu visualisieren. Normalerweise mache ich mehrere Skizzen aus verschiedenen Perspektiven -- zum Beispiel eine Seitenansicht und eine Rückansicht. Auf diese Weise funktioniert es als dreidimensionales Objekt.
Noch mehr Tipps?
Üben, üben, üben. Es gibt eine Theorie, die besagt, dass man 1.000 Stunden üben sollte, wenn man ein Experte auf einem Gebiet werden will, und das idealerweise schon in jungen Jahren. Für die Jüngeren gilt also: Je mehr man übt, desto besser wird man. Aber Zeichnen ist eine großartige Beschäftigung, die man in jedem Alter praktizieren kann.
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