Max Verstappen und Daniel Ricciardo, 2023
© Getty Images/Red Bull Content Pool
F1

Ricciardos Perspektive: Wie er Verstappens Weg zu 200 Rennen miterlebte

Max Verstappen hat 200 F1-Starts auf dem Buckel; die Reise dahin war rekordverdächtig. Daniel Ricciardo blickt auf die Schlüsselmomente zurück - und darauf, was als Nächstes kommen könnte.
Autor: Matthew Clayton
9 min readUpdated on
Max Verstappen feierte Ende August beim Großen Preis der Niederlande sein 200. Formel-1-Rennen. Dass es überhaupt einen Großen Preis der Niederlande gab, nachdem Zandvoort von Mitte der 1980er Jahre bis 2021 36 Jahre lang nicht im Formel-1-Kalender vertreten war, ist ein Beweis dafür, was der dreimalige Weltmeister von Oracle Red Bull Racing in seinen 200 Rennen erreicht hat.
Daniel Ricciardo, der australische Pilot, der sich drei Jahre lang eine Garage mit Verstappen teilte, viele Jahre lang im selben Wohnblock in Monaco wohnte und ein Verhältnis zu ihm pflegte, das sich von anfänglichem Misstrauen und verständlicher Rivalität zu einer blühenden Freundschaft entwickelte, steht heute als Rivale und Freund in der Startaufstellung.
Ricciardo erlebte Max Verstappens Aufstieg damit aus erster Hand mit, womit er eine Perspektive mitbringt, die uns die Entwicklung des Dreifachweltmeisters besser verstehen lässt. Er erinnert sich im Folgenden an die prägendsten Momente in Verstappens Formel 1-Karriere und reflektiert, wie sich dieser von einem jugendlichen Talent zu einem der erfolgreichsten Fahrer des Sports entwickelt hat.
Max Verstappen von Oracle Red Bull Racing beim Großen Preis der Niederlande, 2023

Max' 200. Rennen in Zandvoort: Zurück im Kalender dank seines Erfolgs.

© Getty Images/Red Bull Content Pool

01

"Der It-Faktor war von Anfang an offensichtlich"

Neunzig Minuten. Mehr brauchte Daniel Ricciardo nicht, um sich ein Bild von Max Verstappen zu machen.
Der Junge, der 2015 mit 17 Jahren als jüngster Fahrer bei einem Formel-1-Rennen an den Start ging und ein Jahr später an einem sonnigen Morgen in Barcelona beim ersten Training zum Großen Preis von Spanien Ricciardos Teamkollege bei Red Bull Racing wurde, hatte einfach etwas an sich.
Dem Australier, der damals sein fünftes Jahr in der Formel 1 absolvierte, fiel das sofort ins Auge!
"Er sprang zum ersten Mal ins Red Bull-Auto und war sofort dabei", erinnert sich Ricciardo an Verstappens erste Fahrt als dessen Teamkollege, fünf Runden vor Ende der Saison. Zu einem Zeitpunkt, an dem Verstappen nach dem vorangegangenen Rennen in Russland von Toro Rosso in das A-Team von Red Bull aufgestiegen war.
"Ich habe mehr als nur Pace gesehen... es war eher so, dass er sich von allem unbeeindruckt zeigte. Bei so vielen Sportarten, so vielen Athleten ist das das Wichtigste, denn es ist die Frage, die sich immer stellt: Wer kann es schaffen, wenn die Augen auf ihn gerichtet sind, wenn der Druck hoch ist und die Lichter grell sind? Für mich war das... Das erste Mal, als alle Augen auf ihn gerichtet waren, schien ihn nichts zu stören. Man konnte es einfach nicht übersehen. Das war dieser 'It'-Faktor, den er unmittelbar mitbrachte."
Es war Verstappens 24. F1-Rennen und sein erster Sieg. Zwei Tage, nachdem sich Ricciardos anfängliche Einschätzung als richtig erwiesen hatte. Acht Jahre später ist Verstappen, der mit seinen 26 Jahren bereits ein alter Hase des Sports ist, mehrfacher Weltmeister. Nur zwei andere Piloten in der Geschichte der Formel 1 haben mehr Rennen gewonnen und seit einem halben Jahrzehnt ist er das Maß aller Dinge in diesem Sport.
Max Verstappen von Red Bull Racing beim Großen Preis von Spanien, 2016

Ein Rennen, ein Sieg: Erfolgreiches Debüt in Barcelona, 2016.

© Getty Images/Red Bull Content Pool

Ich habe mehr als nur Pace gesehen ... es war eher so, dass er sich von allem so unbeeindruckt zeigte.
Daniel Ricciardo über Max Verstappen
02

"Ich war mit 17 noch nicht so weit, aber Max war es eindeutig"

Ricciardo beobachtete die 2015er Version von Verstappen mit Neugier aus der Ferne, verbrachte drei Saisons als sein Teamkollege mit einigen Erfolgen und gelegentlichen Konflikten und trat gegen ihn als Rivale an, als seine F1-Reise ihn zu Renault, dann zu McLaren und in den letzten beiden Saisons zurück in die Red Bull-Familie mit Visa CashApp RB führte.
Wie Verstappen ist er einer von nur 23 Fahrern in der 75-jährigen Geschichte der Formel 1, die mehr als 200 Grand-Prix-Starts absolviert haben - eine Zahl, die bei den heutigen langen Kalendern zwar leichter zu erreichen ist, aber dennoch eine bedeutende Leistung.
Aus Ricciardos eigener Erfahrung ist es noch bezeichnender, dass Verstappen bereits mit 17 Jahren bereit für die Formel 1 war. Im selben Alter beendete Ricciardo die High School in seiner Heimat Westaustralien und nahm an der Formula BMW Asia teil. In die Formel 1 schaffte er es erst eine Woche nach seinem 22. Geburtstag im Jahr 2011. Selbst da war er sich nicht sicher, ob er schon so weit war.
Erlebe, wie Ricciardo gegen den jungen Verstappen in einem Wohnwagenrennen mit F1-Twist antritt:

2 Min

Mit dem Wohnwagen über die Formel 1-Rennstrecke?

Die beiden Red Bull Racing-Fahrer Ricciardo und Verstappen liefern sich ein heißes Duell mit ihren Wohnwägen über die österreichische Formel 1-Strecke.

"Mit 22 fühlte ich mich jung - geistig bereit für die Challenge, aber immer noch so jung - und für Max mit 17 war das definitiv eine große Herausforderung", sagt Ricciardo.
"Der Schritt in die Formel 1 war damals ziemlich groß - zum einen wegen der Autos, aber auch wegen allem, was noch dazu gehört. Es ist nicht einfach, sich auf den ganzen Zirkus und die Intensität eines Rennwochenendes vorzubereiten. Es ist nicht einfach, sich an die Autos, das Feedback, die Technik, die Strategie, die Medien und die Fans zu gewöhnen, denn darin steckt so viel Intensität. Das Tempo eines Wochenendes und die Anforderungen sind so viel anstrengender als alles, was du bisher gemacht hast. Ich war mit 17 definitiv noch nicht bereit, aber Max war es eindeutig."
In der Zeit, in der sie Teamkollegen waren, spürte Ricciardo, dass Verstappen sich an dem Punkt seiner Karriere befand, an dem er seinen jugendlichen Überschwang mit der Erfahrung und dem Know-How kombinierte, um seine aufkeimende Größe zu entfalten. Ricciardo erkannte das, weil er ihn bereits erlebt hatte, nämlich in der Zeit nach seinen ersten drei F1-Siegen im Jahr 2014.
Max Verstappen von der Scuderia Toro Rosso beim Großen Preis von Australien, 2015

Max war erst 17 Jahre und 166 Tage alt, als er in Melbourne debütierte

© Getty Images/Red Bull Content Pool

Mit 22 fühlte ich mich jung - geistig bereit für die Challenge, aber immer noch so jung - und für Max mit 17 war das definitiv eine große Herausforderung.
Daniel Ricciardo über Max Verstappen
"2014 war ich so etwas wie die 2016er Version von Max: Du springst einfach ins Auto, bist zum ersten Mal in einem Top-Team und fährst nach Instinkt, Aufregung und ein bisschen nach dem Motto 'Pfeif drauf, mal sehen, was passiert'", lacht Ricciardo.
"Auch die 2016er Version von mir - und das ist wahrscheinlich die 2018er Version von Max - ist dann immer noch jung und hungrig genug, um sich nicht so viele Gedanken zu machen, aber dann hast du ein paar Jahre mehr Erfahrung und bist technisch besser mit dem Auto, dem Team und den Entscheidungen, die es trifft, vertraut."
"An den Tagen, an denen man sich nicht nur auf das reine Talent verlassen kann, benötigt man ein bisschen mehr Support. In der Saison 2016 habe ich das gespürt, und ich habe das Gefühl, dass das 2018 auch bei Max nach und nach der Fall war."

12 Min

World’s fastest filming drone chases Max Verstappen

Fast laps like you've never seen before – take flight with a drone that keeps up with F1 car speeds of 300kph+.

Englisch

03

"Er hat dieses bedingungslose Vertrauen und den Glauben"

Zu diesem Zeitpunkt begann Ricciardo - der Verstappen in ihren ersten beiden gemeinsamen Jahren 2016/17 in der Weltmeisterschaft besiegte - zu verstehen, wie beeindruckend er werden würde.
"Ich hatte das Gefühl, dass er die meiste Zeit nur mit reinem Talent und Geschwindigkeit gefahren ist, also gab es da noch das Rennhandwerk und die fehlende Reife in diesem Alter, mit bestimmten Situationen umzugehen. Jene Situationen, in denen er ein wenig nervös oder unberechenbar werden konnte... das war etwas, was ich ihm an diesem Punkt mit mehr Erfahrung voraus hatte", erinnert sich Ricciardo.
"Aber ich wusste, dass sich das mit der Zeit bei ihm entwickeln würde. Er war genauso schnell, wenn nicht sogar noch schneller, aber die Fehler wurden weniger, und seine Technik ... er war besser auf das Auto und sein Feedback an das Team abgestimmt. Er wurde kompletter ... vielseitiger, ein bisschen anders und ein bisschen besonders."
Er agiert mit so viel Ruhe, Gelassenheit und Selbstvertrauen - das ist jetzt das Beeindruckendste.
Daniel Ricciardo über Max Verstappen
Als Verstappen 2021 beim letzten Rennen der Saison in Abu Dhabi in der letzten Runde seinen ersten Weltmeistertitel holte, wurde dieser besondere Weg endlich entsprechend gekrönt. Es war Verstappens 20. Sieg bei seinem 141. Start; die nächsten 20 folgten in nur 29 Rennen. Sieg Nummer 40 kam 2023 in Spanien, auf dem Circuit de Barcelona-Catalunya, auf dem er sieben Jahre zuvor zum ersten Mal gewonnen hatte.
Sieg Nummer 60 stand 2024 in Kanada auf dem Programm, und da die Zeit auf seiner Seite ist, lässt sich kaum vorhersagen, wo diese Zählung enden wird, bevor er seinen Helm für immer an den Nagel hängt.
Ricciardo weiß, wie schwer es ist, in der Formel 1 zu gewinnen, und kann diese "grandiose Phase", in der sich Verstappen befindet, nachvollziehen.
"Was ihn jetzt besser macht, ist, dass er den Weg schon viele Male gegangen ist, also hat er dieses bedingungslose Vertrauen und den Glauben daran, dass er etwas schaffen kann,. Vielleicht sogar dann, wenn man es nicht von ihm erwartet", überlegt Ricciardo.
"Er ist auch voll in der 'Zone', weil er in den letzten Jahren so eingespannt war und wie ein Uhrwerk funktionieren musste. Er agiert mit so viel Ruhe, Gelassenheit und Selbstvertrauen. Das ist das Beeindruckendste daran, dass er all die kleinen Fehler, die er früher gemacht hat, jetzt ausgebügelt hat. Die eine Sache ist das Fahren, aber letztlich ist es das Mentale; er hat sich einfach unter Kontrolle und zeigt sich unbeeindruckt."
04

"Er könnte als der Größte aller Zeiten in die Geschichte eingehen"

Max Verstappen von Oracle Red Bull Racing beim Großen Preis von Katar, 2023

Weltmeistertitel Nummer drei wurde 2023 unter Flutlicht in Doha besiegelt

© Getty Images/Red Bull Content Pool

Da beide Fahrer als Sportler und Menschen gewachsen sind, hat sich ihre Beziehung laut Ricciardo stark verändert; für ihn bedeutet dieser Fortschritt eine zusätzliche Perspektive.
"Ich denke an die Zeit zurück, als wir noch Teamkollegen waren... er kam mit viel Rummel und machte einige großartige Dinge, aber ich versuchte auch, mir einen Namen zu machen", sagt er.
"Wir kämpften beide um unseren Platz an der Spitze, also gibt es natürlich ein gewisses Konkurrenzdenken und eine gewisse Spannung, eine Rivalität. Als wir nach 2018 nicht mehr direkt als Teamkollegen gegeneinander antraten, fiel diese Barriere zwischen uns ein wenig weg."
Es ist einfach Respekt für das, was er getan hat - und was er immer noch tut.
Daniel Ricciardo über Max Verstappen
"Außerdem wird man einfach reifer - ich bin es, er ist es. Wenn du jung bist, hast du nicht viel Respekt vor deinen Gegnern. Jeder ist der Feind, es ist, als würden sich Hunde ums Fressen streiten. Wenn du älter wirst, hast du natürlich mehr Respekt vor deinen Gegnern. Man wird allgemein reifer."
"Wenn man so lange wie wir in diesem Sport überlebt hat, dann kann man auch besser einschätzen, wie es den anderen dabei geht. Man verbringt mehr Zeit miteinander und sieht die menschliche Seite hinter dem Wettbewerb."
"Ich denke, ich habe wahrscheinlich auf einige Leute positiv abgefärbt, indem ich ein bisschen mehr Spaß gemacht habe und unbekümmerter war. Ob das auch ein bisschen auf Max abgefärbt hat... Nicht alles davon ist meine Leistung, vielleicht nur ein bisschen davon! Aber Spaß beiseite, ich habe keine Probleme damit zu sagen, dass er vielleicht als der Größte aller Zeiten in die Geschichte eingehen könnte."
"Dem steht kein Ego im Weg, sondern nur der Respekt vor dem, was er getan hat - und was er immer noch tut."

Teil dieser Story

Max Verstappen

Max Verstappen hat im Alter von 18 Jahre und 228 Tagen als jüngster Fahrer der Geschichte einen Grand Prix gewonnen. Mit 24 Jahren holte er den ersten WM-Titel. 2022 und 2023 gewann er erneut die WM.

NiederlandeNiederlande
Profil ansehen