Wie hat sich das Graffiti-Writing in Wien in den letzten 15 Jahren deiner Meinung nach verändert?
Stefan Wogrin: Grundsätzlich kann man mittlerweile von einem regelrechten Graffiti-Boom sprechen. Die im europäischen Vergleich eher kleine Wiener Szene, wurde in den letzten Jahren immer größer. Durch das Internet ist der Zugang zum Graffiti einfacher geworden, wodurch immer mehr junge Menschen damit beginnen. Das spiegelt sich natürlich in der Masse von Graffiti im Wiener Stadtbild wieder. Auch die Stadt selbst reagierte darauf und immer mehr Wände werden im Rahmen des Projektes Wienerwand zum Bemalen freigegeben. Natürlich boomt dadurch auch die Wirtschaft. Früher gab es eigentlich nur einen Graffiti Shop in Wien, heute sind es bereits mehrere Geschäfte, die sich zum Großteil auf den Verkauf von Sprühdosen und Graffiti Zubehör spezialisiert haben. Verändert hat sich auch die Akzeptanz von Graffiti in der Gesellschaft. Graffiti wird zunehmend als Kunst angenommen, was auch zu einer gewissen Spaltung zwischen dem Writing und der Street Art geführt hat. Der kommerzielle Aspekt spielt dabei die größte Rolle. Viele Wiener Galerien zeigen Street Art, manche haben sich sogar gänzlich in diese Richtung orientiert. Die Graffiti-Writing Szene lehnt diese Entwicklung aber eher ab.
Du hast das Projekt Wienerwand angesprochen. Worum geht es dabei?
Hinter dem Projekt Wienerwand verbirgt sich in erster Linie ein Leitsystem, wodurch legale Graffiti Wände durch ein Taubensymbol offiziell als solche gekennzeichnet werden. Das im Jahr 2005 gestartete Projekt sucht im Auftrag der Stadt Wien geeignete Flächen und stellt diese den Writern zur Verfügung. In Wien gibt es zurzeit 15 Standorte, an denen legal gesprüht werden darf. Im Vergleich zu anderen Großstädten bietet die Stadt Wien also sehr viele legale Wandflächen an.
Uns ist aufgefallen, dass einige Bilder mehrmals auf SPRAYCITY zu sehen sind. Hat das einen Grund?
Auch wenn das Graffiti Writing eigentlich sehr kurzlebig ist, bleiben manche Bilder doch über mehrere Jahre erhalten. Aus diesem Grund versuche ich bestehende, alte Bilder erneut zu fotografieren, um diese wieder ins Gedächtnis zu rufen. Leider ist es immer wieder vorgekommen, dass jüngere Writer ältere Bilder nicht mehr kannten und sie deshalb aus Unwissenheit übermalt wurden. Natürlich gehört auch das zur Vergänglichkeit des Writings dazu. Ich persönlich bin aber eher nostalgisch und freue mich wenn zumindest ein paar dieser Relikte weiterhin zu sehen sind. Man sollte als Writer auch die Geschichte seiner Stadt und deren Oldschool Pieces kennen und respektieren.
Seit 2011 gibst du auch das Printmagazin OFFLINE heraus. Warum hast du diesen Schritt zu einem eher rückläufigen Medium gewagt?
Früher waren Graffiti Magazine die einzige Möglichkeit Bilder von Writern aus anderen Ländern zu sehen. Heutzutage gibt man „Graffiti“ in eine Suchmaschine ein und findet tausende Fotos aus der ganzen Welt. Ein Magazin hat eine begrenzte Seitenanzahl, wodurch auch die Menge der zu sehenden Fotos begrenzt ist. Diese Reduktion spiegelt sich auch in der Qualität wieder. Im Vergleich zum Internet muss eine genaue Auswahl getroffen werden. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden einmal im Jahr ein gedrucktes Magazin mit den besten, unveröffentlichten Fotos herauszugeben. Wie der Name OFFLINE schon vermuten lässt, bildet das Magazin das gedruckte, Offline-Äquivalent zur SPRAYCITY Homepage. Ich persönlich finde es auch schön, wenn man auch etwas Gedrucktes in den Händen halten kann. Außerdem herrscht in der Graffiti-Szene auch so etwas wie eine Magazin Sammelleidenschaft, womit man auch andere Leute, die Graffiti im Internet eher ablehnen, ansprechen kann.
Inwieweit spielt dein Kunstgeschichte Studium für deine Graffiti Dokumentation eine Rolle?
Das Graffiti-Writing wird in der Kunstgeschichte leider mehr oder weniger ignoriert. Ich persönlich finde das schade, dass eine jahrzehntelang andauernde Bewegung wie das Writing für die Universität noch immer nicht gänzlich salonfähig geworden ist. Die Street Art findet vergleichsweise immer mehr Einzug in die Kunstgeschichte. Der Name Banksy ist noch einer der wenigen Namen der im Graffiti Kontext an der Universität erwähnt und behandelt wird. Aus diesem Grund versuche ich im Rahmen meines Studiums die Geschichte des Wiener Writings zu erforschen. Wo waren die Ursprünge? Wie hat sich der Stil entwickelt? Wie war die Rezeption? Das alles versuche ich anhand von Zeitzeugenberichten, alten Fotos und Presseartikeln so gut wie möglich zu rekonstruieren.
Gibt es so etwas wie einen spezifischen Wiener Stil und wenn ja wie hat sich dieser entwickelt?
Man kann das nicht wirklich verallgemeinern, da in Wien wie auch in anderen Städten sehr viele unterschiedliche Stilrichtungen parallel existieren. Grundsätzlich war Wien schon immer durch andere europäische Städte wie Paris, Dortmund, München oder Amsterdam beeinflusst. Vor allem zu Beginn spielte der Einfluss aus Frankreich stilistisch eine große Rolle. Die Werke der zweiten Generation von Wiener Writern waren von sehr abstrakt ausgeführten Buchstaben geprägt. Später war dann das abstrakte Verformen und Brechen der vorgegebenen Graffiti-Style Konventionen richtungsweisend.
Welche Künstler würdest du als Aushängeschilder für die Wiener Graffiti Szene bezeichnen?
Natürlich gab es immer wieder einzelne Akteure, die für einen Zeitraum durch ihren innovativen Stil aus der Masse herausgestochen sind. Am prägendsten war wohl KERAMIK, der schon sehr früh einen eigenen, abstrakten Stil eingeführt hat und der auch von vielen übernommen wurde. Heute würde man seine Bilder wohl dem Anti Style zuordnen. Dieser Trend der letzten Jahre spielt eben mit sehr abstrakten, naiven Buchstaben und teilweise mit gewollter Unsauberkeit. KERAMIK war gewissermaßen dem Trend um einige Jahre voraus. Wichtige Einflüsse für die Wiener Szene kamen dann auch von ICHIBAN, WDD, FR und der BANDE Crew.
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