Eishockey ist ein wunderbarer Sport: Er produziert verlässlich Sieger. 0:0, man schüttelt sich die Hand und sagt: „Unentschieden?“ Undenkbar! Einer muss gewinnen, der andere verlieren.
Oliver David, 46, der in der Vorsaison zum ersten Mal überhaupt ein Profi-Team, den EC Red Bull Salzburg, als Cheftrainer übernommen hatte, wusste im entscheidenden Playoff-Spiel 7 gegen den KAC in deren ausverkaufter Halle „nach der dritten Puckberührung, dass wir das Ding gewinnen werden. Alles fühlte sich richtig an.“ Spiel 6 zu Hause war noch deutlich verlorengegangen. Also Fehleranalyse? Mitnichten! Oliver David zeigte in der Videobesprechung vor dem Tag X ausschließlich, was das Team richtig gemacht hatte. Nach zwei Dritteln in Spiel 7 lag Salzburg mit 4:0 vorne. Das Match endete mit 6:2, Salzburg war Meister.
Alles ändert sich
Dabei hatte die Zusammenarbeit zwischen dem EC Red Bull Salzburg und dem erfolgreichen Nachwuchs-Coach aus den USA, der Teenager trainiert hatte, die später Superstars werden sollten, harzig begonnen. Beim ersten Match gegen den schwedischen Spitzenklub Skellefteå ahnte David rasch, dass dieses Match nicht gut ausgehen würde. Auch in der Meisterschaft ließen gute Ergebnisse lange Zeit auf sich warten. „Zu so einem hyper-erfolgreichen Team zu kommen war das Härteste, was ich je gemacht habe.“
Doch David, der in den Jahren zuvor Co-Trainer in der Schweiz gewesen war und sich bereits vor Jahren in Salzburg als Nachwuchsbetreuer beworben hatte, weil ihm die Philosophie der Red Bulls imponierte, tat erst mal: nichts.
Er sei „das Gegenteil eines Diktators“, wie er über sich sagt. Trotz steigenden Drucks war er innerlich so ruhig, wie er auf der Bank wirkt. Beobachtete. Integrierte sich ins Team, anstatt sich vorn hinzustellen. Lernte. „Änderst du einen Teil eines Teams, ändern sich alle anderen Teile mit.“ Er war das neue Teil. In diesem Umfeld mussten alle ihre Position finden und im Zusammenspiel mit den anderen neu definieren – David ebenso.
Learning by doing
Und er meinte es ernst: Anders als viele Kollegen aus Übersee sah er sich nicht als Saisonarbeiter, sondern übersiedelte samt Familie nach Europa und arbeitete an seinem Deutsch: ganz oder gar nicht. Aufgewachsen war David in Kalifornien, einer traditionell Eishockey-verrückten Region mit drei NHL-Vereinen und einem guten Dutzend Profi-Teams. Hier wurde er sozialisiert, hier sog er Hockey auf – ohne großen theoretischen Unterbau. Ein Praktiker, der sich hocharbeitete. Er lebte Hockey und brachte ein Element mit, das man im Unterschied zu Skate- oder Stocktechnik, zu Pass- oder Laufwegen tatsächlich nicht lernen kann: Kreativität.
Die Salzburger Eisbullen zeichnet ein klar erkennbarer Stil aus, sehr strukturiert, mit Fokus auf Defensive und unermüdlichem Forechecking. Für Nicht-Experten: Die Bullen sind lästig und wollen den Puck. (Im Fußball sagt man „Pressing“ dazu.) Oliver David: „Die Spieler haben unsere Strukturen komplett verinnerlicht. Auf dieses Fundament konnte ich Schritt für Schritt meine Idee von Kreativität draufsetzen.“ Eine gut geölte Maschine entwickelte sich weiter zu einer weiterhin gut geölten, aber für den Gegner weit unberechenbareren Maschine. Der nächste Schritt war genommen. Oliver David hatte das Team, dessen Teil er ist, verändert.
Wenig ist viel
Der muskulöse Eishockey-Philosoph redet gern, gut und viel: „Ich habe kein Problem mit Worten.“ Seine Antworten bei Interviews können fünf Minuten dauern, sind reflektiert und gehen tief ins Detail. Doch eigentlich, sagt er, sei das Ziel, gar nichts sagen zu müssen. Der Job sei dann bestmöglich erledigt, wenn das Kollektiv keine Inputs von ihm mehr benötige. In Spiel 7 der letzten Saison habe er auf der Bank „vielleicht sechs Worte“ gesagt. Es seien die Spieler gewesen, die sich selbst gecoacht hatten, er habe bloß noch beobachtet – und ein Stück weit genossen.
Genau das ist wahrscheinlich das Idealszenario an der Spitze jeder Organisation: dass alles harmonisch ineinandergreift, jeder auf seiner Position richtig ist und sie hundertprozentig und mit Freude ausfüllt. Das gehe freilich nur, wenn sich alle auf eine gemeinsame Kultur verständigt hätten, sagt Familienmensch David. Und da kommt er bei der Salzburger Meistermannschaft des letzten Jahres (die sich im Übrigen nicht sehr von der aktuellen unterscheidet) ins Schwärmen. Wie die Jungs professionelle Tools annehmen würden: Das freiwillige Self-Assessment, eine schriftliche Einschätzung der eigenen Leistung nach jedem Spiel. Die Ruhe und Konzentration bei Meetings. Dass er Linienkollegen mit iPads sehe, die nach dem Training ganz für sich Videoanalysen betrieben. Die Arbeitsethik im Gym. Generell die Stimmung und der Respekt in der Kabine. „Wir lernen alle gemeinsam Tag für Tag dazu – und mit Freude! Dafür liebe ich diesen Job. Und weil es niemals endet.“
Als er frisch zum Team kam, war Oliver David ein stiller Beobachter. Im letzten Spiel des Jahres war er wieder in dieser Position. Aber in den Monaten dazwischen ist sehr, sehr viel passiert.