Die dritte Dimension der 1.650 m hohen Eiger Nordwand gibt es jetzt für Jedermann. Mammut hat seine Top-Alpinisten Stephan Siegrist und Daniel Arnold bei ihrer letzten Begehung der legendären Heckmair-Route mit einem speziellen ‚Kamerawürfel’ ausgerüstet. Das Ergebnis ist das Project360, mit dem wir alle dreidimensional den Durchstieg virtuell miterleben können. Street View am Berg! Wir haben mit Matthias Taugwalder gesprochen: 360°-Experte und technischer Leiter des Mammut-Projekts.
Matthias, Du bist wie involviert in das Project360°?
Ich war für die fotografische und technische Leitung verantwortlich. Ich bin eigentlich Fotograf und so etwas wie ein 360°-Mensch, also spezialisiert auf interaktive Formate. Und das gerade im hochalpinen Bereich. Mit Mammut habe ich in der Vergangenheit schon des Öfteren zusammengearbeitet und als die Idee aufkam, haben wir dann zusammen das Projekt ausgearbeitet und umgesetzt.
Mann trifft es ganz gut, wenn man sagt „Street View am Berg“, oder?
Genau. „Street View goes Vertical“. Aber hier werden nicht nur 360° Fotos gezeigt, sondern auch 360° Videos, für die der Betrachter den Winkel selbst bestimmen kann.
Was macht die Sache für Dich so besonders?
Es geht darum, das Bergsteigen erlebbar zu machen und zwar virtuell. Der Betrachter soll sich wie ein Alpinist fühlen. Dieses Erlebnis, das die Profis am Berg machen, wird so für alle zugänglich. Für Leute, die gar nicht in die Berge gehen. Genauso für Normalbergsteiger, denen solch extreme Touren versperrt sind. Aber natürlich auch für jeden ambitionierten Kletterer, der das Material sichten und als Vorbereitung nutzen kann. Dieses virtuelle Nachempfinden finde ich unglaublich spannend.
Und wie sieht es mit der Technik aus?
Die eingesetzte Technik hat keinen Selbstzweck, sondern macht das räumliche Erlebnis und die räumliche Orientierung in der Eiger Nordwand möglich. Die ganze Heckmair-Route haben wir in 380 Panoramabildern abgebildet...
...und das mit einer speziell entwickelten Kamera?!
Ja, genau. Ich habe über zwei Monate an dem optimalen System getüftelt, das sich aus mehreren bereits bestehenden Komponenten zusammensetzt. Im Grunde ist es ein Kamera-Würfel aus sechs GoPros. Damit haben wir überlappenden Fotos und Videos aufgenommen und die dann am Rechner zu diesen nahtlosen 360°-Ansichten zusammengefügt.
Was gab es dabei vor allem zu beachten?
Einiges! Die einzelnen Komponenten gibt es ja bereits, aber die Schwierigkeit lag in der Kombination. Wenn man so viel Erfahrung hat, weiß man auch, auf was man alles zu achten hat. Ist das Handling auch unter extremen Bedingungen und mit Handschuhen machbar? Wie viel Speicher muss man einkalkulieren? Welche Temperaturen müssen die Geräte aushalten? Da gab es ein paar Kühlschrank-Tests.
Es ist eine extrem fordernde Route...
Bei der man vieles einkalkulieren muss! Darin lag die Herausforderung: Jegliche potenzielle ‚Schwachstellen’ schon im Vorhinein bedenken und so gut es geht vorbeugen. Im Grunde besteht das 360°-Kamerasystem aus normalen GoPros, die nicht für so einen extremen Zweck gemacht sind. Es ist also keineswegs selbstverständlich, dass es funktioniert. Wir haben versucht, die Konstruktion so zu bauen, dass sie einfach zu bedienen und gleichzeitig maximal robust ist. Von den Kabelverbindungen bis hin zum Schutz gegen Steinschlag und Nässe. Und am Einsatztag lief dann alles super glatt.
Hat das System Stephan und Dani beim Klettern behindert?
Es war sicherlich anders für sie, damit in die Wand einzusteigen, aber einschränken sollte es eben nicht. Sie sollten die Möglichkeit haben, ganz normal (für ihre Verhältnisse) zu klettern. Auch der Rucksack ist speziell für den Einsatz entwickelt worden. Wir haben den Kameraarm mit dem Würfel nicht einfach auf ein Pack montiert. Das war schon komplexer. Im Rucksack selbst stabilisiert ein eigens kreiertes Aluminiumgestell und ganz entscheidend war auch Distanz und Perspektive ganz exakt einzustellen. Wir mussten bei der Konstruktion des gesamten Systems immer das 360°-Bild im Kopf haben.
Habt Ihr hier Pionierarbeit geleistet? Ist das 360°-Erlebnis die Zukunft auch am Berg?
Ich glaube schon, dass wir hier einen wichtigen Schritt gegangen sind. Das virtuelle Erlebnis, das sieht man zum Beispiel auch bei den Oculus Rift 3D-Brillen, ist bereits sehr populär und es geht immer weiter. Auch am Berg. Ich finde auch reizvoll, dass es ein autonomes System ist, mit dem die Kletterer sich selbst bzw. ihre Leistung eigenständig dokumentieren können – und das auf eine extrem spannende Art. Da ist kein Hubschrauber, der um den Berg kreist und keine Luftverschmutzung.
Wird das Ganze denn für Normalbergsteiger auch interessant werden?
Es wird sicher in absehbarer Zukunft ein System auf den Markt kommen, mit dem das jeder machen kann. Eine preiswerte Variante, mit der man es schafft, dieses räumliche Erlebnis rüberzubekommen.
Ist das das Ende der klassischen Fotografie?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn es darum geht, die speziellen Momente einzufangen oder künstlerisch anspruchsvoll zu fotografieren, braucht man auch die entsprechende Technik. Nur mit meiner Spiegelreflexkamera fange ich dieses Licht ein. Und schlussendlich ist es in solchen Situationen immer noch der Fotograf, der das Bild macht. Also abgelöst wird die klassische Fotografie sicher nicht, aber es ist eine spannende Ergänzung.
Und wo geht es mit dem Mamut-Projekt als nächstes hin?
Es ist natürlich ein laufendes Projekt. Ziel ist es, den Alpenraum zu erfassen. Wir haben also noch ein bisschen was vor uns.