Kennst du diese Instagram-Videos, in denen durchtrainierte Menschen als menschliche Flaggen an Masten hängen? Das ist Calisthenics.
Wenn du zuhause Liegestütze oder im Fitnessstudio Sit-Ups machst – das ist Calisthenics.
Menschen, die in Parks kopfüber von irgendwelchen Stangen hängen – auch das ist Calisthenics.
Jetzt, wo du weißt wie es aussieht, fragst du dich sicher: Aber was ist Calisthenics? Wir haben die Antwort! Calisthenics ist eine Form des körperlichen Trainings, bei dem nur das eigene Körpergewicht genutzt wird. Die Wurzeln dieses Trends liegen jedoch ganz wo anders …
Wissenswertes
Die Ursprünge von Calisthenics liegen bei den Kriegern im antiken Griechenland. Der Name ist eine Kombination der griechischen Wörter für „Schönheit“ und „Stärke“. Neu entdeckt wurde es vor mehr als einem Jahrhundert, um viktorianische Frauen zur körperlichen Betätigung zu animieren. Dadurch wurden sie stärker und kräftiger und entsprachen so dem damaligen Schönheitsbild.
Heutzutage ist es ein Trend, der vor allem auf Instagram stattfindet. Tausende Menschen quer über den Globus vernetzen sich online über die Plattform und präsentieren dort ihre verblüffenden Kunststücke.
„Unsere Idee von Calisthenics besteht darin, durch das Training mit dem eigenen Körpergewicht Menschen zu helfen sich besser zu bewegen, übermenschlich stark zu werden und mehr Spaß am Training zu haben,“ sagt der Co-Gründer der School of Calisthenics Tim Stevenson.
„Die Wurzeln liegen weit zurück in der Geschichte. Die Hantel wurde erst 1928 erfunden und so mussten Menschen beim Training lange Zeit auf Hilfsmittel verzichten und nur mit ihrem eigenen Körpergewicht arbeiten. In dieser Phase überlebten Menschen Gladiatorenkämpfe, eroberten ganze Länder und gelangten zum Südpol – all das nur, weil sie ihren Körper richtig einzusetzen wussten und nicht, weil sie 100 Bizep-Curls schafften.
Stevens, ein Elite-Athlet und Konditions-Coach, der bereits zwei schwere Schulterverletzungen beim Rugby erlitt, und der zweite Co-Gründer David „Jacko“ Jackson, auch ein ehemaliger Rugbyspieler, sind auf Calisthenics gestoßen, weil sie nach einer anderen Art des Trainings gesucht haben.
„Die Physiotherapie hat nichts geholfen,“ sagt Stevenson. „Um wieder Vertrauen in die Stabilität meiner Schulter zu bekommen, habe ich angefangen den Handstand zu üben. Dann habe ich begonnen damit herumzuspielen und bewusst versucht darauf zu achten, was ich damit machen kann.“
Sportgymnastik und Calisthenics weisen eine auffällige Ähnlichkeit auf und obwohl Stevenson keinerlei Erfahrung im Bereich der Sportgymnastik hatte, war er sehr schnell in der Lage unterschiedlichste Calisthenics-Moves auszuführen. „Viele der Bewegungen sind Basics der Sportgymnastik. Ein Handstand gehört beispielsweise zum Grundrepertoire im Gymnastikbereich. Bei Calisthenics geht es aber mehr um das Element der Kraft und den Erwerb grundlegender Fähigkeiten,“ sagt Stevenson.
Die Community
Das Wichtigste bei Calisthenics sind aber die einzigartige Kultur und definitiv der Spaßfaktor. Egal welches Video du dir auf einem der Kanäle der Social-Media-Welt ansiehst, die Typen sehen immer aus als hätten sie eine gute Zeit.
„Calisthenics ist wie eine Familie,“ sagt Instagram-Calisthenics-Star Dwayne „Coupe“ Cooper. Er hat sich einst von den YouTube-Videos des New Yorkers Hannibal Lanham, der Calisthenics auf Spielplätzen in Queens gemacht hat, zu diesem Lifestyle inspirieren lassen.
„Sobald du beginnst, bist du Teil dieser Familie. Calisthenics ist in dieser Hinsicht wie BMX oder Skateboarden. Wenn du einen Move nicht hinkriegst, kommt jemand, um dir zu helfen. Es ist nicht wie im Fitnessstudio, wo jeder seine Kopfhörer aufhat und seinen eigenen Körper im Spiegel begutachtet.“
Coupes Geschichte ist beeindruckend, wenn man bedenkt, dass er ebenfalls keine Erfahrungen im Bereich der Gymnastik hatte und sich alles selbst beigebracht hat. Coupe und seine Freunde übten auf Gebäudegerüsten in der Nähe von Ladbroke Grove und Notting Hill. Vor Zuschauern traten sie dort gegeneinander in sogenannten „Dips Competitions“, also Beugestütz-Wettbewerben, an.
Schließlich leitete er Freitag nachts einen Outdoor-Calsthenics-Kurs, in dem er Menschen davon überzeugte, ihren Trainingsplan durch etwas völlig anderes zu ersetzen. Mittlerweile hat er eine riesige Anhängerschaft in den sozialen Medien, die er regelmäßig mit inspirierendem Content versorgt.
Ganzkörpervorteile
Bei einem Forschungsprogramm der Universität von Palermo wurde herausgefunden, dass Calisthenics-Training zu einer messbaren Verbesserung in Bereichen wie Körperhaltung und Kraft führt. Alle Teilnehmer konnten ihren Fettanteil reduzieren und waren in der Lage mehr Klimmzüge und Liegestütze zu machen – obwohl diese Übungen nicht einmal Teil des Trainings-Protokolls waren.
Stevenson ist außerdem ein großer Verfechter des Cardio-Vorteils, den das Calisthenics-Workout bringt: „Es ist einfach die Herzfrequenz einer Person bei einem Zirkel mit Körpergewichts-Übungen zu erhöhen. Wenn du das regelmäßig und richtig machst, wird dein Körper fitter, weil er auf die Belastung reagiert. Unabhängig davon, ob du Intervalltraining bei 90 Prozent oder mehr deiner Herzfrequenz machst, oder längere, dafür stabilere Aktivphasen zwischen den Pausen einlegst – die Erhöhung deiner Herzfrequenz über einen bestimmten Zeitraum wird deine Fitness merklich verbessern. Die Entscheidung hängt von der bevorzugten Art des Trainings und von der gewünschten Fitness ab.“
Die Vorteile, die Calisthenics bringt sind enorm. „Um gesund zu sein, sollte man eine große Bewegungsfreiheit haben,“ sagt Stevenson. „Das ist auch der Grund, warum Yoga derzeit so beliebt ist. Die drei Prinzipien Flexibilität, Stabilität und Kraft bestimmen die menschliche Bewegung. Mit Calisthenics hast du ständig damit zu tun.“
„Wenn du zum Beispiel einen schönen Handstand machen willst, musst du sowohl stark, stabil und flexibel sein. Es ist ein Training, das die Bewegung des gesamten Körpers positiv beeinflusst.“
Falls dir das alles noch nicht reicht: Calisthenics steigert auch deine Gehirnleistung. Das klingt zwar nach einer kühnen Behauptung, wurde aber bereits wissenschaftlich erwiesen. Das Erlernen neuer Fähigkeiten fördert die neuronale Aktivität im Gehirn. „Es kann sogar die Chance auf Krankheiten wie Alzheimer und Demenz im späteren Leben verringern. Die Auswirkungen auf ein gesundes und erfülltes Leben sind enorm,“ sagt Stevenson.
Zu glauben, dass Calisthenics nur in seiner eigenen kleinen Welt existiert, wäre ein Fehler. Zunehmend beobachtet Stevenson wie Calisthenics in anderen Sportarten als Ergänzung dient. Er und Jacko haben mit den Kraft- und Konditionstrainern, sowie den Physiotherapeuten der schottischen Rugby Union zusammengearbeitet, um die körperliche Kompetenz ihrer Nachwuchsathleten zu fördern.
„Aus sportlicher Sicht spielt die Fähigkeit sich besser zu bewegen eine große Rolle,“ erklärt er. „Im Fitnessstudio die immer gleichen Übungen wie Kniebeugen, Kreuzheben oder Bankdrücken zu machen, beansprucht auch die immer gleichen Muskelpartien. Calisthenics zwingt einen dagegen dazu, sich auf andere Weise zu bewegen und das drückt sich schließlich in der allgemeinen Athletik aus.“
Diese Athletik hilft außerdem dabei Effizienz, Stabilität und Flexibilität zu steigern. Wenn du ein begeisterter Läufer oder Radfahrer bist, steigerst du damit automatisch deine Leistung im Sport.
Wie man anfängt
„Die häufigste Frage, die man mir stellt, ist: ‚Wo fange ich an?‘“ sagt Coupe. „Meine Antwort darauf: Zuerst Liegestütze. Wenn du keine normalen Liegestütze schaffst, dann mach sie auf den Knien. Danach kommen Klimmzüge und Dips.“
Stevenson schlägt dagegen vor, sich auf diese Übungen vorher vorzubereiten. Sie sind wichtig für das körperliche Training von Clalisthenics aber benötigen auch Zeit erlernt zu werden. Er empfiehlt stattdessen mit Bewegungsübungen zu starten, die Spaß machen, wie zum Beispiel „Archer Ring Rows“. Man hält sich dabei an zwei Gymnastikringen fest und zieht sich mit einem Arm hoch während der andere Arm zur Seite gleitet. Das führt zu einer Verbesserung der Schulterstabilität.
Eine zweite Übung für Anfänger nennt sich „Skin the Cat“. Auch dabei hängt man wieder an zwei Gymnastikringen und leitet eine Rückwärtsrolle ein, indem man die Füße zwischen den Ringen nach oben und schließlich hinter sich zieht. „Skin the Cat“ ist ebenfalls ideal zur Kräftigung der Stabilität und Flexibilität im Schulterbereich.
„Unsere Devise ist, das Unmögliche neu zu definieren. Wir wollen Menschen dazu bringen, Dinge zu schaffen, die sie für unmöglich gehalten haben. Jedes Mal, wenn wir einen Anfänger-Workshop veranstalten, gehen die Leute weg mit dem Gedanken, dass auch sie die menschliche Flagge ausführen können, wenn sie intensiv daran arbeiten und trainieren.
„Der Fortschritt ist gerade bei Anfängern sehr deutlich zu erkennen, weil das Gehirn am Beginn ständig neue Dinge lernt. Du wirst also buchstäblich von Tag zu Tag Fortschritte machen und diese auch sehen und spüren. Wenn du am Montag Handbalance-Übungen machst, stehen die Chancen ziemlich gut, dass du am Mittwoch schon viel besser bist.