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Auf Augenhöhe: Die besten Deutschrap-Kollabos von Rapperinnen und Rappern

Ausnahmeerscheinung oder neue Normalität der Geschlechter im deutschen Rap? Feature-Gipfeltreffen à la Loredana & Capital Bra oder Shirin David & Haftbefehl strotzen vor Selbstbewusstsein.
Autor: Red Bull
6 min readPublished on
Zwei riesige Kollabo-Songs haben in den letzten Wochen für Aufmerksamkeit und Klicks gesorgt, nicht nur, weil man so schwer aus dem Kopf bekommt, nein – auch die Besetzung ist interessant, denn in beiden Songs trifft jeweils eine Rapperin auf einen Rapper. Und was für Kaliber! Haftbefehl macht für „Conan & Xenia“ gemeinsame Sache mit Shirin David, während Capital Bra sich für die Ballade „Nicht verdient“ Verstärkung von Loredana holt. Allesamt Hochkaräter, irre erfolgreich und doch mit den unterschiedlichsten Vorgeschichten.
Wichtig ist dabei vor allem, dass sich hier alle auf Augenhöhe begegnen. Im Gegensatz zu althergebrachten Rap- und Pop-Mustern sind die Rapperinnen keine dekorativen Feature-Gäste, sie sind nicht nur für eine catchy Hook da und nicht als Objekt der Begierde. Sie machen laute Ansagen und repräsentieren Stärke und Ego auf Songs, die ohne die weiblichen Beiträge gar nicht denkbar wären.

Kollabos von den 90ern bis heute

Und weil das bei Frau-Mann-Kollabos leider längst noch immer nicht die Regel ist, haben wir uns auf die Suche nach weiteren wichtigen Deutschrap-Songs aus den letzten 25 Jahren gemacht, in denen Frau und Mann auf Augenhöhe aufeinander treffen. Es geht um Rap, um Kunst und um Selbstbewusstsein – von 2020 zurück nach 1995.

Haftbefehl & Shirin David – Conan & Xenia

Ein Raunen geht durch die Rap-Bubble: Ist das Shirins Nicki-Minaj-„Monster“-Moment? Das karrieremachende Feature? Nun, der Vergleich hinkt beträchtlich, denn Shirin David ist längst absurd erfolgreich, als sie auf dem Hafti-Track auftaucht. Ihr Debütalbum und zwei ihrer Songs waren an der Chartspitze, jede Single in den Top Ten … und doch hat es ein anderes Gewicht, auch Seite an Seite mit einer lang etablierten Rap-Größe wie Haftbefehl zu glänzen wie ein Diamantencollier. Nix mehr mit „Youtube-Star rappt jetzt auch“. Shirin David greift nach der Krone und untermauert, dass sie als Rapperin ebenso wenig leise machen muss wie als Unternehmerin „mit hundert anderen Businesses“. Die Killerstrophe auf „Conan & Xenia“ spricht für sich und „Cousin Aykut“ kann nur zustimmen.

Capital Bra & Loredana – Nicht verdient

Und fast zeitgleich mit Hafti und Shirin passiert Gipfeltreffen Nummer zwei: King Lori und Capi zusammen, das ist zuallererst mal ein sicherer Hit. Es ist aber auch inhaltlich ein ganz anderer Entwurf, denn im Gegensatz zu „Conan & Xenia“ geht „Nicht verdient“ voll auf die Gefühlsschiene und feiert das Sich-Lösen aus vergifteten Beziehungen. Und ein riesiger Ohrwurm ist der Song obendrein – aber wer hätte das je bezweifelt?

Juju & Bausa – Vermissen (beim Red Bull Soundclash)

Im Gegensatz zu den ersten zwei Beispielen, bei denen die Frau jeweils als Featuregast auftauchte, ist es hier der Typ, der die Gastrolle übernimmt – und zwar in einer ganz besonderen Konstellation. Beim großen Soundclash „Alle gegen Bausa“ springt Baui anstelle von Henning May auf Jujus Riesenhit „Vermissen“. Fraglos einer der großen Momente des Abends und einer der größten Songs des Jahres 2019, egal in welcher Version.
Wer jetzt denkt, diese Art der großen gemeinsamen Songs sei eine Errungenschaft des letzten Jahres, hat sich geschnitten. Wir werfen einen Blick auf das vergangene Jahrzehnt:

Schwesta Ewa & SSIO – Märchenrapper (2012)

Als Schwesta Ewa 2012 mit dem Mixtape „Realität“ ihr Hak einforderte, war das Staunen groß. Als Frau aus dem Rotlichtmilieu hatte sie die anrüchigen Geschichten für den Straßenrapzeitgeist, aber eben auch die, Verzeihung, nötige Realness, sich im Trainingsanzug vor eine Graffiti-Wand zu stellen und mit SSIO auf ein klassisches 90s-Instrumental zu spitten. Konnte man nicht wirklich haten – und erst mit etwas Abstand wird klar, was für eine wichtige Rolle Schwesta Ewa für nachfolgende Rapperinnen der Neo-Gangsta-Rap-Ära spielte.

Juju & Said – Berliner Schnauze (2015)

Man vergisst gerne mal, dass Juju schon zu den Hochzeiten ihrer ehemaligen Band SXTN solo ausgeschert ist. „Berliner Schnauze“ mit dem Neuköllner Said ist irgendwie das Gegenteil von SXTN – irgendwie aber auch die logische Ergänzung zum „Asozialisierungsprogramm“. Ein ernsthaft gutes Stück Rap aus Berlin auf jeden Fall.

Trettmann & Haiyti – 120 Jahre (2016)

Schöne, neue Trap-Welt: wie sich die Karrieren von Autotune-Don Trettmann und dem entrückt-glamourösen It-Partygirl Haiyti in den letzten Jahren entwickelt haben, müssen wir hier wohl nicht ausführen. Diese Kollabo aus der wohl prägendsten Zeit des KitschKrieg-Camps ist ungeachtet dessen ein Evergreen mit einer Hook, die man nicht loswird. Willkommen auf der stockdunklen Tanzfläche, hier bleiben wir.

Eunique & Xatar – Check (2018)

Xatar ist eine beeindruckende Erscheinung, körperlich, stimmlich und auch, was die Tragweite seiner Inhalte angeht. Wie dezent sein Gastauftritt bei Eunique anmutet, muss man erst mal verstehen, denn es liegt sicher nicht daran, dass er zu wenig über Schusswaffen und bestenfalls Halblegales sprechen würde. Aber gegen die übermenschliche Strahlkraft und das Charisma der Kobra-Militär-Anführerin anzukommen – das war 2018 nicht einmal für den Birra in Hochform eine leichte Aufgabe. Manteltragende Ikonen unter sich.

Rola & reezy – Chilln (2018)

Fällt hier ein bisschen aus der Reihe, weil eben doch wieder die Er-rappt-sie-singt-Kombination – aber weil „Chilln“ der beste 90s-Throwback seit dem Debüt von Ace Tee ist, weil Rola die Hauptrolle behält und in jedem Style überzeugend flowen kann, und weil reezy schon 2018 als Gaststrophe-Newcomer reinkommt, als wäre er längst das nächste große Ding … chilln wir einfach gemeinsam weiter.

Monet192 & badmómzjay – Papi (2019)

Erst der Plattenvertrag, dann die Volljährigkeit, so lief das bei badmómzjay. Die rotleuchtende Newcomerin hatte sich schon per Instagram-Strophen auf Englisch und Deutsch eine treue Fangemeinde plus Hype erspielt, bevor sie mit dieser Monet192-Kollabo ins Hochglanzgeschäft einstieg und das Thema Flirt-Song würdevoll zurückeroberte. Dann kam der Major-Deal, dann „Zirkus“ und jetzt das untrügliche Gefühl, dass es in den nächsten Monaten noch viel über badmómzjay zu berichten geben wird. Aufregend!
Zum Schluss drehen wir die Uhr noch weiter zurück – schon Mitte der Neunziger wird man fündig, und so klang das damals:

Schwester S & Rödelheim Hartreim Projekt – Ja klar (1995)

Okay, zugegeben: Das Setting von „Ja klar“ ist platt und wirkt wie ein unbeholfener Girl-meets-Boys-Song vom Reißbrett. Wenn man sich aber vor Augen führt, welche Tragweite das hier vor 25 Jahren (!) hatte, sieht die Sache schon anders aus. Moses P. und Thomas H. hatten sich als Rödelheim Hartreim Projekt durch harte Ansagen, kompromissloses Auftreten und gezielte Disses innerhalb der noch jungen hiesigen Rap-Szene immense Aufmerksamkeit erarbeitet. Um Schwester S. – natürlich aus ihrem engsten Umfeld und auf dem eigenen Label 3p – einen bestmöglichen Start zu bereiten, warfen sie mit dieser Liebeskomödie jegliche Coolness über Bord und biederten sich im Chor der widerspenstigen Angebetenen an: „Du bist 'n Babe, ich möcht dein Badewasser saufen!“ Schwester S war lyrisch nicht beeindruckt und schickte die Jungs lapidar nach Hause. Als Sabrina Setlur wurde sie außerdem Deutschlands erfolgreichste Rapperin und verkaufte über zwei Millionen Tonträger, bevor sie Ende der Nullerjahre die Karriere an den Nagel hängte.

Stieber Twins & Cora E. – Einmal Macco, zweimal Stieber (1996)

Neben Sabrina Setlur gab es nicht viele wahrnehmbare Rapperinnen in der ersten Deutschrap-Generation, und die wohl wichtigste von ihnen lebte gar nicht so weit von Rödelheim entfernt – in Heidelberg. Cora E hatte schon 1993 ihre erste Single „Könnt ihr mich hör'n“ mit dem Hamburger DJ Marius No. 1 veröffentlicht. 1996 folgte auf „Fenster zum Hof“, dem bis heute verehrten Album der Stieber Twins, endlich der raptechnische Schulterschluss unter Gleichgesinnten: „Einmal Macco, zweimal Stieber“, bitte.
Bitte mehr davon, Damen und Herren. Auch in Zukunft.