Grenzenloses Wachstum ist dem Vernehmen nach nur nach innen möglich. Kajak-Ass Adrian Mattern hat diese Erfahrung bei seinem jüngsten Projekt "Bike 2 Boat" nun selbst gemacht. "Ich habe viel über mich selbst gelernt auf diesem Trip", sagt der 25-Jährige. "Wenn du stundenlang mit 80 Kilo Gepäck am Rad das Timmelsjoch hochstrampelst, musst du dich zwangsläufig mit dir selbst beschäftigen."
Auf dem Weg von seiner Wahl-Heimat Innsbruck durch die Alpen und zurück reißen Adrian und seine Begleiter Brendan Orton, Olaf Obsommer und Jens Klatt 800 km und 8.000 hm ab – vollkommen klimaneutral mit nichts als ihrer Muskelkraft! Was ihnen am Ende geholfen hat diese einmalige Challenge zu bewältigen? "Eine super Crew, Spaß am Verlassen der eigenen Komfort-Zone und Vaseline – und zwar viel davon", lacht Adrian.
Adrian, was steckt hinter Bike 2 Boat, was hat euch zu diesem Trip inspiriert?
Inspiriert hat uns ein ähnlicher Trip, den Olaf und Jens, die dieses Mal als Filmer und Fotograf dabei waren, vor Jahren mal gemacht haben. Allerdings haben sie damals hier und da doch mal das Auto bemüht. Wir haben Bike 2 Boat allein mit Muskelkraft und ohne motorisierte Unterstützung durchgezogen: Eine Round-Trip, bei dem wir mit dem Rad von der eigenen Haustür weg vollkommen CO2-neutral mit unseren Kajaks quer durch die Alpen von Spot zu Spot fahren und am Ende wieder bei uns zuhause landen.
Als Kajaker bin ich komplett von der Natur abhängig. Umweltschutz und Naturschutz sind mir auch deshalb extrem wichtig.
Mit welchem Ziel seid ihr gestartet?
Die Beweggründe für diesen Trip waren vielfältig: Erstens war es für mich und alle die dabei waren die Chance, trotz der Reisebeschränkungen dennoch unseren Sport auszuüben, und auf Expedition zu gehen. Normalerweise finden diese in weit entlegenen Regionen wie Afrika oder Südamerika statt. Dieses Mal habe ich mir eine Challenge vor meiner eigenen Haustür gesucht, die mich fordert, Spaß macht und mich wachsen lässt. Zweitens wollten wir die Wildwasser der Alpen, die ich eigentlich in und auswendig kenne, neu und anders entdecken.
Und drittens war es mir ein Anliegen, nicht Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Als Kajaker bin ich komplett von der Natur abhängig. Ich brauche die Unberührtheit der Natur, damit die Flüsse frei fließen können. Umweltschutz und Naturschutz sind mir auch deshalb extrem wichtig. Gleichzeitig ist der Kajaksport mit dem vielen Reisen dahingehend problematisch. Man sagt in der Szene nicht ohne Grund Kajaksport ist Motorsport. Hinzukommen normalerweise um die 20 Flüge pro Jahr, mit denen ich eine ganze Menge CO2 in die Atmosphäre schieße.
Das alles hat mich dazu bewogen, Bike 2 Boat mit Brendan Orton, Olaf Obsommer und Jens Klatt umzusetzen. Auch mit dem kleinen Hintergedanken, dadurch vielleicht den ein oder anderen zum eigenen klimaneutralen Heimat-Trip zu inspirieren.
Man spürt, zu was man im Stande ist und merkt, wie wenig man braucht, um eine wirklich gute Zeit zu haben.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Strecke ausgewählt?
Die Route haben wir nach Flüssen geplant, die wir auf dem Trip paddeln wollten. Die meisten kannten wir bereits, einige Abschnitte noch nicht. Ziel war außerdem, eine Runde zu fahren, bei der wir daheim starten und wieder daheim landen. Zudem mussten wir beachten welche Flüsse im Sommer genügend Wasser führen. Das waren dann eher die Gletscherflüsse, wodurch sich unser Trip schnell auf die Regionen Tirol, Südtirol, Osttirol beschränkt hat.
Welche Flüsse seid ihr letztlich gepaddelt?
Los ging’s an der Saalach, in der Teufelsschlucht. Von da aus ging es zügig nach Osttirol, wo wir viel auf der Isel gepaddelt sind, insbesondere dem Iselkatarakt, dem schwierigsten Abschnitt dort. Von der Isel sind wir dann weiter zum Defereggenbach. Hier haben wir diverse Abschnitte gemacht wie die Wasserfallstrecke und die Tunnelstrecke und so weiter. Über den Stallersattel, also den Pass von Defereggenbach nach Südtirol sind wir dann zu den Reinbach-Wasserfällen und weiter nach Meran auf die Etsch und einige andere Spots. Über das Timmelsjoch ging es dann zurück ins Ötztal, wo wird die Venter Ache, die Gurgler Ache und die Ötz gepaddelt sind. Von da aus ging es dann zurück nach Innsbruck.
Was musstest du tun, um Brendan Orton zu überzeugen, sich dir anzuschließen?
(lacht) Mit Brendan mache ich seit Ewigkeiten so gut wie alle meine Projekte. Als ich ihm 2019 Bike 2 Boat vorgeschlagen habe und das alles noch Theorie war, meinte er, ja klar, bin ich dabei! Vorgestern hat er mir dann erzählt, dass er sich auf unserer aller ersten Etappe von Innsbruck nach Lofer ernsthaft überlegt hat, eine Verletzung vorzutäuschen, um doch noch aus dem Ding aussteigen zu können (lacht).
Ich kann es ihm nicht mal übel nehmen, weil die erste Etappe gleich eine der härtesten war, weil das Radeln bergauf für uns einfach so ungewohnt war. Ich glaube, als wir uns dazu entschieden haben, das Ding wirklich zu machen, war uns beiden noch nicht ganz bewusst, auf was wir uns da eigentlich einlassen. Aber wenn man dann einmal mittendrin ist, gibt es kein Zurück mehr. Fakt ist, ich war wahrscheinlich noch nie so fit, wie nach Bike 2 Boat! Das geht Bren sicher ähnlich.
Nur das Nötigste dabei zu haben lenkt den Fokus auf das Wesentliche, das war wirklich befreiend!
Angesichts der großen Anstrengungen, die euch erwartet haben: Wie habt ihr euch auf das Projekt vorbereitet?
Für mich hat das Training im April begonnen. Da war ich auch wegen des Lockdowns sehr viel laufen. Anfang Mai hat mich dann der Wings for Life World Run dazu bewogen, noch mehr zu laufen. Im Juni bin ich für meine Kardio-Einheiten dann aufs Rad umgestiegen. Glücklicherweise war ich mit Red Bull zu der Zeit auch zum Leistungstest im Athlete Performance Center in Thalgau, wo sie mir im Anschluss ein super Vorbereitungsprogramm speziell für den Bike 2 Boat Trip geschrieben haben. Das war wirklich optimal!
Dem Plan getreu bin ich also ab Juni vier Mal die Woche auf dem Rad gesessen – zwei Mal Grundlagenausdauer mit moderatem Puls für etwa drei Stunden und zwei Mal Intervalltraining mit einem Wechsel aus Sprints und Pausen. Das hat vor allem meinen Beinen gut getan (lacht). Die sind seit meinen frühen Rugby-Zeiten etwas kurz gekommen, weil sie dann doch öfter im Kajak liegen. Vier Mal die Woche bin ich ins Gym gegangen – zwei Mal Oberkörpertraining mit dem eigenen Körpergewicht, ein Mal Stabilitätstraining für die Beine, ein Mal Dynamic Core Training.
Stichwort Nachhaltigkeit: Warum lohnt es sich, trotz der organisatorischen und körperlichen Anstrengungen, so einen Trip klimaneutral durchzuziehen?
Was mich ganz besonders geflasht hat war, wie anders man Distanzen wahrnimmt! Wenn ich in Innsbruck ins Auto springe und nach Lofer fahre, bin ich in eineinhalb Stunden dort. Mit dem Rad brauche ich eineinhalb Tage! Weil man aber mit gedrosselter Geschwindigkeit unterwegs ist, hat man viel mehr Zeit, die Umgebung wahrzunehmen und vor allem die vielen einzelnen Eindrücke auch zu verarbeiten. Details, die einem sonst entgehen, wie das Murmeltier am Wegrand, Blumenwiesen oder Bergspitzen, an denen man sonst mit 120 Sachen vorbeischießt.
Ein weitere Punkt, der so einen Trip einmalig macht, ist das Pushen der eigenen Grenzen – vor allem der eigenen Leidensgrenze. Man spürt, zu was man im Stande ist und nicht zuletzt merkt man einmal mehr, wie wenig man braucht, um eine wirklich gute Zeit zu haben. Nur das Nötigste dabei zu haben lenkt den Fokus auf das Wesentliche, das war wirklich befreiend!
Den inneren Schweinehund wieder und wieder zu besiegen ist anstrengend, aber es fühlt sich extrem gut an.
Was hast du auf dem Trip über dich selbst gelernt?
Meine Leidensgrenze hat sich extrem nach oben verschoben. Ich hätte mich schon vor dem Trip als recht hart im Nehmen charakterisiert, weiß jetzt aber, das es immer ein nächstes Level gibt (lacht). Sich da wieder und wieder durchzukämpfen, den Berg doch hoch zu kommen und den inneren Schweinehund wieder und wieder zu besiegen ist anstrengend, aber es fühlt sich vor allem im Nachhinein extrem gut an. Von daher kann ich jedem nur empfehlen, selbst loszuziehen und die unmittelbare Umgebung für die eigenen Abenteuer zu nutzen.
Das sind die Zahlen hinter Bike 2 Boat:
- 21 Tage unterwegs
- 1 Pausentag
- 800 Rad-Kilometer
- 8.000 Höhenmeter
- 4 Rad-Stunden im Schnitt pro Tag
- 9 durchpaddelte Flüsse
- 9.000 verbrauchte kcal pro Tag
- 20 Euro Budget pro Tag
Ich hoffe sehr, dass wir mit Bike 2 Boat den ein oder anderen zum eigenen klimaneutralen Heimat-Trip inspirieren können.
Das brauchst du, um deinen eigenen klimaneutralen Bike 2 Irgendwas zu starten:
- Eine gute Crew: Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wer so einen Trip mit guten Freunden durchzieht, der hat auch Spaß, wenn es waagrecht regnet, man Hunger und Durst hat und alles beim Berghochstrampeln weh tut. Das macht es deutlich einfacher.
- Intakte Fahrräder: Für Bike 2 Boat war ich auf einem Hardtail Mountainbike von Specialized unterwegs. Bren hat sich ein günstiges MTB im Internet gekauft, Olaf hat sich sein Bike prompt zum Geburtstag gewünscht und Jens hatte sich sein Bike ausgeliehen. Aber egal, wer auf welchem Rad unterwegs war, was man für einen sicheren Trip braucht sind gute Bremsen und ein kleiner Gang!
- Den passenden Anhänger: Gerade wenn man mit Kajaks unterwegs ist, macht ein stabiler und gut funktionierender Fahrrad-Anhänger Sinn. Wir haben für unseren Trip Anhänger von reacha, einer kleinen Firma am Starnberger See dabei gehabt. Die haben gut gehalten, obwohl wir sie maßlos überladen haben.
- Keine Verpflichtungen: Sinn und Zweck eines solchen Trips ist es, den Alltag hinter sich zu lassen. Um das zu 100% umsetzen zu können, sollte man keinerlei Termine machen und sich die Freiheit nehmen, je nach Tagesform, mehr oder weniger abzureißen.
- Gute Planung: Wenn es darum geht, möglichst leicht bepackt zu reisen, sollte man sich auf seiner Route vorher einige Marker setzen, an denen man seine Vorräte auffüllen, schlafen, oder sich notfalls auch mal erholen kann. So kann man Essen und Trinken für maximal ein bis zwei Tage einpacken, statt sich mit Proviant zu überladen.
- Wasserdichte Trockensäcke: Man braucht auf so einem Trip nicht viel, aber das, was man dabei hat, sollte auch nach dem ein oder anderen Regenschauer trocken sein! Drei bis vier unterschiedlich große wasserdichte Packsäcke sind daher ein Muss.
- Fahrrad-Reparatur-Set: Neben dem Sportgerät, das man unter Umständen dabei hat, ist das Fahrrad das wichtigste Ausrüstungsstück. Wechselschlauch, Mantel, Kleber und andere kleine Reparatur-Teile müssen deshalb mit!
- Vaseline: 21 Tage auf dem Fahrrad gehen an keinem Po spurlos vorbei, egal welche Polsterung man wählt. Das einzige, was hilft, unnötige wunde Stellen zu verhindern ist Vaseline – und zwar viel davon (lacht).