Die Fantastischen Vier im Tunnel
© Robert Grischek
Rap 💯

Die Fantastischen Vier: „Du bist einfach gottfroh, wenn dich was kickt!“

Thomas D. und And.Y im Gespräch über das 10. Fanta-4-Album „Captain Fantastic“ – was motiviert sie, welche Rolle spielen Samy Deluxe und Curse als Ghostwriter, und: Wie klingt Trap von den Fantas?
Autor: Ralf Theil
12 min readPublished on
Es würde uns nicht gut stehen, so sein zu wollen wie Rin oder Bausa. Schwachsinn.
Thomas D.
Interviewtag in Stuttgart: wir treffen Thomas und Andy am Nachmittag vor einer für Fanta-4-Verhältnisse intimen Clubshow im Wizemann – Livepremiere der ersten Songs von „Captain Fantastic“, Aufwärmrunde für die Live-Saison 2018/19 und Familientreffen zugleich. Zehn Studioalben. Sieben Livealben. Das 30-jährige Bandjubiläum schon in Sichtweite. Endzeitstimmung oder Neuanfang? Und … los.
Ich frage mal ketzerisch: ist es euch überhaupt noch ein persönliches Bedürfnis, neue Musik zu machen?
Thomas: Das ist mehrschichtig. Zum einen ist es sinnstiftend für einen selbst. Man beweist sich, dass man noch irgendwas kann, dass man noch nicht ideenlos geworden ist. Und zum anderen ist es live total hilfreich, neue Songs zu haben. Das ist ein Grund, eine neue Tour zu spielen, auf der Bühne etwas zu empfinden, was man nur mit einem neuen Song empfinden kann, wie heute Abend zum Beispiel. Ein gewisses Maß an Nervosität, an: Oh mein Gott, hoffentlich vergesse ich meinen Text nicht. Jeder hat ein viel größeres Fehlerpotenzial, als wenn du einen Song schon 50-mal gespielt hast. Und es geht auch um das Gefühl: Wir haben noch was zu sagen.
Gilt das eher für euch als Berufsmusiker oder für euch als Privatpersonen?
Thomas: Für mich als Musiker. Neulich hat mich ein Lifecoach gefragt: „Thomas, was willst du noch erreichen? Was sind deine großen Ziele?“ Äh, du, ich glaube, die gibt's gar nicht mehr. Wir haben so viel erreicht, von dem wir, und auch ihr alle mit Sicherheit nie gedacht habt, dass es passieren würde. Was soll ich da noch wollen? Aber zu sehen, wohin das noch geht, das ist schon spannend.
Thomas D – Captain Fantastic

Thomas D – Captain Fantastic

© Robert Grischek

Ihr seid eine Band, die schon sehr früh Dinge um die Musik herum ausprobiert hat – zum Beispiel habt ihr 1995 eine CD-ROM („Viertuell“) gemacht, jetzt gerade gibt es eine Augmented-Reality-App zum Album. Welche Rolle spielen solche Dinge für euch?
Andy: Das liegt vielleicht an unserem generellen Frühsein. Wir finden das Neue interessant und erforschenswert. Auch mit der Musik waren wir früh. HipHop-Musik ist ja auch nicht …
Thomas: … viel älter als wir. (kichert)
Andy: … plötzlich definiert da gewesen. Auf Englisch gab es das, aber auf Deutsch? Das war ein riesiger, leerer Raum, den musste man erst mal abtasten. Wegen dieser Neugierde haben wir angefangen, HipHop-Musik zu machen. Das war neu und geil. Ich hätte sonst auch Elektropop machen können, das wäre mir auch nicht so fremd.
Thomas: Wir haben uns auch schon selber gefilmt, bevor uns jemand anders gefilmt hat. (lacht) „Hier ist ne Kamera, halt die auf mich!“, das war unsere Attitude. „Ich will ins Fernsehen! Da läuft so viel Rotz, die sollen lieber über uns berichten!“ Unsere Grundhaltung war sehr offen und dankbar gegenüber dem Neuen. Dazu kommt über die Jahre ein wahnsinniges Gelangweiltsein über das Alte, sich selbst, die alten Platten … der Smudo will ja nicht mal mehr rappen, der hat gar keine Lust mehr auf Worte! Was dann aber zu grandiosen Zeilen führt wie: „Junge Junge, die Pumpe, die pumpt, Buddel Buddel, Buddel voll Rum, Rumpelpumpel-dipumpel-dipum.“ Ich mein … who writes shit like that!? (lautes Gelächter)
Andy: Aus einer früheren Position wäre es unmöglich gewesen, diese Zeile zu schreiben. Da muss man erst mal hinkommen. Deswegen ist es nach wie vor spannend. Jetzt sind wir hier, was bleibt noch übrig? Erst mal scheinbar nichts. Das Blatt ist weißer und leerer denn je.
Ich bin ja kein Freund des Überinterpretierens, aber meine Assoziation bei der Zeile war etwas, was ihr auch 1991 schon gemacht habt: „Ringel Reihe Rosen, schöne Aprikosen.“ Schüttelreime.
Andy: Ach, ein wahrlicher Kenner. (grinst)
Thomas: In gewisser Weise ja, genau. Aber die dadaistische Ebene ist stärker. Und wenn wir sagen: „Mein lieber Herr Gesangsverein“, das ist ja auch so ein Spruch – wer sagt das heute noch? Aber wer soll es denn bitte sagen, wenn nicht ein Gesangsverein! (lacht)
Andy: … der noch aus der Zeit kommt, als man das wirklich gesagt hat.
Thomas: Das ist schon faszinierend. David Byrne von den Talking Heads hat eine neue Platte, auf der er auch versucht, diese ganze Attitüde ad absurdum zu führen. Bewusst den Sinn und die Ernsthaftigkeit rausnehmen. Es gibt aber auch den Protestkünstler, der etwas zu sagen hat und das auch unbedingt will. Bei unserer neuen Platte hört man beides. Es gibt Momente von basic Unsinn-Shit, es gibt Ernsthaftigkeit mit doppeltem Boden und auch Sachen, bei denen du dir nicht sicher bist, ob du gerade verarscht wirst. Natürlich nehmen wir uns selbst nicht ernst – aber gleichzeitig ist es doch ernsthaft, was da gesagt wird.
Anfangs habt ihr sehr klare Grundwerte verkörpert. Individualität, Positivität, fühl dich frei. Wie haben diese Grundwerte sich bis heute verändert?
Thomas: Ironie und Sarkasmus sind immer mehr dazugekommen. Das lag mir am Anfang auch nicht so. „Und los“ ist ein gutes Beispiel. Für mich war das ein Motivations-gute-Laune-Song, und dann meinte Michi: „Was ist denn hier los? Wir können doch keinen eindimensionalen Gute-Laune-Song schreiben.“ „Zusammen“ ist auch für dieses ehrliche Wir-Gefühl prädestiniert, wird aber durch das Video persifliert, in dem man sieht: Das ist alles andere als harmonisch, da gibt's auf's Maul. Dieser doppelte Boden tut der Sache gut. Da lerne und reife ich auch durch die anderen beiden Rapper und ihre Ideen.
Wenn ihr vor 5.000 oder 10.000 Leuten auf der Bühne steht, muss man doch eigentlich davon ausgehen, dass da auch irgendwelche AfD-Wähler in der Halle sind, mit denen ihr ideologisch nicht auf einen Nenner kommen würdet.
Thomas: Echt, solche Sachen denkst du? Oh Gott. Ich würde nie denken, dass AfD-Wähler zu uns kommen. Ich weiß nicht … aber ja, wahrscheinlich doch.
Andy: Unser Publikum ist intelligenter! Aber klar, du hast recht, das kann sein, allein schon statistisch. Es ehrt uns ja auch, dass du uns als derartig Mainstream einschätzt, dass wir die Bevölkerung als Ganzes im Publikum haben. (Gelächter)
Thomas: Zum einen: besser die hören uns zu als irgendwelchen Vollidioten, die Drecks-Gedankengut teilen oder Parolen brüllen. Und zum anderen: vielleicht würde ich mit 95% der ganzen Menschen da unten auch nicht klarkommen, wenn ich sie persönlich treffen würde. Allein schon als Vegetarier. Wie viele davon teilen diese Philosophie nicht? Schon da hätten wir einen Konflikt. Aber wenn man sich darauf beruft, was wir gemeinsam haben – eine Liebe zu dieser Musik und zu Texten mit einem positiven Kern – dann können wir uns doch alle verstehen.
Worauf ich hinauswollte: je mehr doppelte Böden aus Ironie und Zynismus man einbaut, desto leichter kann man missverstanden werden.
Thomas: Das ist wohl wahr.
Andy: Aber die Erfahrung zeigt: man wird sowieso missverstanden. (Gelächter) Das passiert ja sogar schon innerhalb der Band.
Thomas: Aber dann gibt es zum Glück immer noch einen Thomas-D-Song auf der Platte, der mit Sicherheit ironiefrei ist und genauso gemeint, wie er klingt. Da weiß man dann wieder Bescheid. (lacht)
Auf „Watchmen“ hast du auch eine sehr nüchterne, ernste Strophe über die Uhr deines Vaters …
Thomas: (zeigt die Uhr) Meine erste Uhr. Und seine Letzte.
… und davor steht gleichberechtigt eine etwas quatschige Strophe von Michi Beck über teure Uhren.
Thomas: „Etwas“? (lacht) Ja, total! Völliger Schwachsinn. Auch Smudo hat so eine lustige Strophe über die Entstehung des Breitlings geschrieben, dann Michi mit seiner Patek-Philippe-Strophe, stark von Max Herre inspiriert – aber ich konnte nicht anders. Ich habe versucht, lustig zu sein, aber wenn ich etwas sagen will, das für mich Sinn macht, fällt es mir sehr schwer, einen sinnlosen Spack-Text zu schreiben. Wenn ich an eine Uhr denke, dann an die Uhr meines Vaters. Der ist zu früh gestorben und diese Uhr ist sein Erbe, das ich tragen kann. Dann gehe ich eben ans Eingemachte und schreibe darüber.
Andy: Und das ist doch geil. Davon profitiert auch der Song, weil es mehrere Ebenen gibt. Die Leichtigkeit der anderen Strophen wird durch Thomas' ernste Strophe viel verdaulicher.
Weg von den Inhalten – was sind die musikalischen Grundwerte?
Thomas: Zum Teil ist die Platte sehr modern, aber es gibt auch Oldschool-Elemente. Wir nennen das immer die Beastie-Boys-Attitude, auf die Zwölf. „Hot“ ist zum Beispiel sehr organisch, funky, aber dann gibt es auch elektronische Stücke und alles passt zusammen. Das ist der Bogen, den diese Platte spannt. Ich hoffe, es ist: „Die Fantas klingen modern“, und nicht: „Die Fantas wollen modern klingen.“ Das wäre nicht cool.
Andy: Es ist erfolgreich modernisierte Fanta-Musik und eben nicht der Versuch. So übermodern ist es nämlich auch nicht.
Thomas: Es ist nicht der übernächste Shit, nein.
Andy: Aber die Essenz des Modernen ist mit im Boot. Die Balance steht uns sehr gut.
Thomas: Wir haben auch viel im Bezug aufs Live-Spielen geschrieben, deswegen geht die Platte so ab. Bloß nicht hinsetzen und ein jazziges Konzert in Anzügen spielen, scheiß drauf, Alter! So lange rocken, bis wir umfallen! Anders geht es nicht.
And.Ypsilon – Captain Fantastic

And.Ypsilon – Captain Fantastic

© Robert Grischek

Ein großer Teil eures Publikums ist ja über viele Jahre mit euch älter geworden. Für die seid ihr ein wichtiger musikalischer Input, denn wenn die bei Rin oder Bausa Trap-Beats oder Autotune hören, reagieren die anders darauf, als wenn ihr ihnen das unterjubelt. Denkt ihr daran, den Hörer aus seiner Komfortzone zu holen?
Thomas: Das Intro des Albums ist ja am trappigsten. Trap findet eigentlich jeder geil, der HipHop macht, denn plötzlich kann der HipHopper einfach singen! Er muss nicht mal die Töne treffen, weil ihm die Maschine hilft! (lacht) Das ist natürlich eine Falle, denn jetzt machen's alle. Den Fantas würde das nicht gut stehen, auf den Trap-Train aufzuspringen und auch so sein zu wollen wie Rin oder Bausa. Schwachsinn. Wenn wir aber in die Richtung gehen, weil wir's auch persönlich geil finden, hier und da mal „Brrp“ zu sagen (imitiert lachend Adlibs) … gut, dann machen wir den Schritt. Gleichzeitig nehmen wir aber echte Streicher auf und blasen das Ding auf, ohne alle Trap-Klischees mitzunehmen. Wir denken aber selten an die Leute draußen, wenn wir Musik machen. Du bist einfach gottfroh, wenn dich irgendwas kickt, irgendein Gedanke, ein Satz, ein Moment, eine Farbe, ein Gefühl … ein Beat, ein Loop, whatever!
Andy: Und wenn so was kommt, muss man's halt machen. Sonst ist man endgültig lost.
Thomas: Wir überlegen nicht, wie wir die Alten in die Neuzeit und die Jungen ins Boot holen. Es ist eh schwer zu begreifen, dass bei Texten von 50-Jährigen da unten 17-Jährige vor der Bühne stehen und das feiern.
Andy: Die sind halt nicht doof und haben recht viel Ahnung für ihr Alter. (lacht)
Thomas: Vielleicht verstehen sie auch einfach, dass da etwas echt und authentisch ist. Oder sie werden gezwungen und unser Management kauft sie heimlich ein. (kichert)
Parallel zu dieser musikalischen Öffnung habt ihr euch jetzt auch ein Kompetenzteam zusammengestellt, um die Platte zu schreiben.
Thomas: Zum ersten Mal, ja. Nur Samy Deluxe war schon an „25“ beteiligt. Als Michi diesmal sagte, wir müssen uns textlich helfen lassen, war ich erst mal sehr enttäuscht. Aber Gott sei Dank haben wir mit Samy, Curse und Damion Davis tolle Leute getroffen, die uns so an Ideen bereichert haben. Diese Platte ist textlich deswegen viel besser geworden, ich feier das so! Und natürlich wird alles in den Fanta-Topf geschmissen und man erarbeitet gemeinsam einen Text, der nie ohne die Inspiration von außen entstanden wäre. Es wird halt echt schwieriger, etwas zu finden, was dich kickt. Aber wenn du etwas hörst, was dich kickt, kannst du darauf einsteigen. Mit diesem Zusatz in unserem Tank ist der Motor viel schneller angelaufen. Ich glaube auch, dass der in diesem Konglomerat noch ein Weilchen laufen kann. Ich nehme also zurück, dass ich am Anfang dachte: Wenn wir nicht mal mehr unsere Texte selber schreiben, machen wir ja gar nix mehr. Durch Mitproduzenten und Mittexter ist dieses Ding überhaupt noch am Leben.
Andy: Und das nicht so schlecht.
War es denn schwer, Kontrolle abzugeben?
Thomas: Ich habe mich damit schon schwer getan. Aber dass wir Samy wieder treffen, war klar. Durch Zufall habe ich dann Damion kennengelernt, der sich als Wunderwaffe entpuppt hat. Curse habe ich zuerst menschlich gefeiert, nachdem ich etwas über ihn im Fernsehen gesehen habe, ich habe mich verliebt in Curse, weil ich den menschlich so toll finde! Und seine Songwriter-Qualitäten – ich meine, er hat „Zusammen“ erfunden! Das ist grandios, schlichtweg Wahnsinn. Danke.
Wir sind eine sehr selbstkritische Band. Michi Beck denkt ja schon seit »Lauschgift«, dass es nicht mehr lange geht.
Thomas D.
Die Beginner haben ihr letztes Album als Ehrerbietung an ihre Ziehväter „Advanced Chemistry“ genannt. Gibt es für euch – abseits der Beginner – manchmal Momente, in denen ihr denkt: Das hätte jetzt eigentlich auch „Fanta 4“ heißen können?
(lautes Gelächter)
Andy: Eigentlich nicht, weil wir wahnsinnig schwer zu kopieren sind. Alles was ähnlich oder schlechter als wir ist, da reden wir gar nicht drüber. Aber im Ernst: mir fällt jetzt nichts ein, wo ich denke, die gibt es nur wegen uns. Das ist zu eindimensional.
Thomas: Oder eben: die alle. (lacht)
Andy: Egal wer wie da gelandet ist, wo er heute ist – man hat ja nie nur eine einzige Inspiration.
Thomas: Wir sind eine sehr selbstkritische Band und Michi denkt ja schon seit „Lauschgift“, dass es eh nicht mehr lange geht. Aber so langsam haben wir uns alle davon überzeugen lassen, dass das, was wir geschaffen haben, durchaus einen Wert hat. Und je länger es geht, desto mehr werden wir uns dieses Legendenstatus' bewusst, wenn man ihn so nennen will. Das heißt aber nicht, dass wir nur noch denken, wir sind die Größten. Du musst dir selbst und dieser Welt mit jeder neuen Platte zeigen, dass du's noch draufhast. Theoretisch kannst du deine Karriere mit jedem Album beenden. Wir dachten schon die letzten acht Alben: Du machst kein schlechtes, uninspiriertes Album. Das merken die Leute sofort. Dann lieber kein Album machen.
Andy: Wie gut es letztendlich ist, können wir beim Machen nie beurteilen. Aber es darf nie das Gefühl aufkommen, dass das Käse ist.
Thomas: Der Anspruch an uns selbst ist immer noch sehr hoch, und das „Wir sind's“-Selbstbewusstsein ist zwar etwas gewachsen, aber immer noch sehr gering. Vielleicht ist das das Schwabenhafte – wenn i nix sag, isch's Lob g'nug. Wenn du dich für den Größten hältst, zeigen dir die Leute schnell das Gegenteil.