Skydiving
Red Bull Stratos: Der Tag, an dem der schwarze Himmel blau wurde
Zehn Jahre nach Red Bull Stratos gibt uns Felix Baumgartner einen exklusiven Einblick in die Geschichte hinter der historischen Mission an der Grenze zum All.
Es war der 14. Oktober 2012, als der 43 Jahre alte Fallschirmspringer aus Österreich die Kapsel am Rande des Weltalls --- in 40 Kilometern Höhe -- verließ, um den freien Fall in Richtung Erde anzutreten und als erstes menschliches Wesen die Schallmauer ohne Flugobjekt zu durchbrechen.
Felix Baumgartner brauchte nur 34 Sekunden, bis er die Mach 1-Marke erreichte und einen massiven Knall auslöste, der selbst bei den vielen Zuschauern in der Wüste von New Mexico sowie bei den Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die das Ganze live mitverfolgten, zu hören war. Nach vier Minuten und 20 Sekunden öffnete er seinen Fallschirm und machte sich daran, eine saubere Landung durchzuführen.
Es handelte sich um ein Projekt, das über fünf Jahre vorbereitet und letztendlich beinahe perfekt umgesetzt wurde. 77 Fernsehsender übertrugen das Spektakel auf globalem Level und der Stream brachte die YouTube-Server an ihre Grenzen. Zehn Jahre später weist der Red Bull Stratos-Content auf der Videoplattform beinahe eine Milliarde Klicks auf und auch Baumgartner selbst weiß, dass seine Mission die ganze Welt in Atem gehalten hat. Er selbst bringt das in der neuen Space Jump-Dokumentation auf Red Bull TV auf den Punkt: "Ich war der erste Mensch, der außerhalb eines Flugobjekts die Schallmauer durchbrochen hat und damit in die Geschichtsbücher eingegangen ist. An letzteres erinnert sich so gut wie keiner."
In der Frühphase des Projekts rief Baumgartner, der sich mit seinen vielen BASE-Jump-Weltrekorden bereits einen Namen gemacht hatte, den Ingenieur Art Thompson an. Die beiden kannten sich zu diesem Zeitpunkt bereits, Thompson selbst hatte bereits an einigen Red Bull-Projekten mitgearbeitet.
Die Frage, die Baumgartner stellte, war einfach: "Ist es möglich, einen Fallschirmsprung aus der Stratosphäre zu absolvieren und dabei die Schallmauer zu durchbrechen?" Thompson antwortete, dass er darüber nachdenken müsse, aber so etwas wie Zweifel gab es bei Baumgartner nicht mehr. Nicht lange, und er hörte die Worte "Lass mich eine Lösung dafür finden!" aus Thompsons Mund.
Ein Teil des Puzzles bestand darin, festzulegen, wer noch für das Projekt rekrutiert werden sollte. An der Spitze der Wunschliste stand Joe Kittinger, ein ehemaliger Jetfighter-Pilot und damaliger Weltrekordhalter mit seinem Sprung von 31.333 Metern Höhe im Sommer 1960. Baumgartners Philosophie gestaltete sich einfach: "Wenn du den Mount Everest besteigen willst und es nur einen Menschen auf diesem Planeten gibt, der an dessen Spitze war, dann solltest du mit diesem darüber sprechen."
Das Duo reiste nach Florida und Kittinger sagte ihnen, dass er über eine Beteiligung nachdenken würde, wenn sie das Ganze als Air Force-Programm mit entsprechenden Testphasen am Boden und geringer Höhe angehen würden. Nachdem Baumgartner eine ähnliche Herangehensweise verfolgte, war Kittinger schnell an Board. Es sollte am Ende seine Stimme sein, die Baumgartner am Tag seines Sprunges im Ohr hatte; zunächst, um die Checkliste mit 43 Punkten vor dem Ausstieg aus der Kapsel gemeinsam mit dem Österreicher durchzugehen.
Ich war der erste Mensch, der außerhalb eines Flugobjekts die Schallmauer durchbrochen hat und damit in die Geschichtsbücher eingegangen ist. An letzteres erinnert sich so gut wie keiner.
Das Team sah sich selbst als Underdogs und während die Gruppe rund um das Projekt auf etwa 300 Leute anwuchs, war schnell klar, dass eine Ambition dieser Größenordnung nicht ohne Probleme ablaufen würde. Im Rückblick witzelt Baumgartner darüber, dass jedes Meeting damit begann, vier Probleme zu lösen und ein solches nur selten ohne vier weitere endete. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem der Pilot selbst.
Es ist gerade diese Freiheit im freien Fall, die Baumgartner immer angesprochen hat, weshalb er sich auf seinem Arm auch den Satz "Born to Fly" tätowiert hat. Als er also zum ersten Mal in seinem Anzug steckte, fühlte er sich zunächst unwohl und gefangen. Länger als eine Stunde hielt er es darin nicht aus. An einem Tag, an dem er fünf Stunden darin verbringen sollte, nahm ihn das dermaßen mit, dass er das Projekt für kurze Zeit verließ. Die Antwort bestand darin, den Psychologen Dr. Michael Gervais hinzuzuziehen. Nach zwei Wochen war Baumgartner in der Lage, Stunden im Anzug zu verbringen. Wohl fühlte er sich zwar nicht, aber er lernte, es zu akzeptieren und auszuhalten.
Gervais half dabei, seine Denkweise zu verändern, indem er ihm seine Technik des "Combat Breathings" aneignete und ihn in einige unangenehme Situationen stecke, um ihn an einen Punkt zu bringen, der Panik auslöste. In dem Moment, in dem Baumgartner die Kontrolle zu verlieren drohte, erinnerte ihn Gervais daran, dass er der Held des Projekts ist und er einen Anzug trägt, der speziell für ihn designt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war auch schnell klar, dass es Kittinger sein sollte, der als einziger in Kontakt mit Baumgartner stehen sollte -- der einzige Mann des Planeten also, der wirklich verstehen konnte, was durch den Kopf von Baumgartner geht.
Trainingssprünge aus 21 Kilometern und dann 29 Kilometern Höhe gaben dem Team die Sicherheit, dass Baumgartner diese Herausforderung bestreiten könnte. Es kam der Oktober und alle waren bereit.
Verständlicherweise fand in der Nacht vor dem großen Tag keiner so wirklich Schlaf. Es kam der Call und Felix machte sich auf, um sich in eine Kapsel mit 1,8 Metern Durchmesser zu zwängen, die von einem dünnen Helium-Ballon in der Größe von 33 Fußballfeldern in die Atmosphäre gezogen wurden.
Im ersten Entwicklungsschritt war diese Kapsel nicht mehr, als eine hölzerne Box mit einem Bürostuhl, um die initialen Tests durchzuführen. Am Ende des Projekts bestand sie aus modernster Technik, mit 15 angebrachten Kameras. Fünf weitere fanden sich auf dem Anzug von Baumgartner.
Er selbst erinnert sich daran, dass er mit dem Anzug und der Kapsel eine Hassliebe pflegte -- immerhin waren beide dazu da, ihn am Leben zu halten: "Wenn der Anzug nicht funktioniert...dann stirbst du. Also musst du dich doppelt absichern. Eine Kapsel und der Anzug sind das Beste, was du aus so einer Situation herausholen kannst", meint er selbst.
Der Schlüsselmoment kam näher und Kittinger ging die Checkliste gemeinsam mit Baumgartner akribisch durch; zwei Perfektionisten an jedem Ende des Funks, die jedes Feature, das in der langen Vorbereitungsphase entwickelt wurde, penibelst durchbesprachen.
Du wachst mit Red Bull Stratos auf, du atmest Red Bull Stratos, du gehst mit Red Bull Statos zu Bett.
Eine weitere Liste war an der Luke zu finden, die er öffnete, um zurück auf die Erde zu fallen. Jedermann verfolgte das Ganze live, womit die Spannung zu spüren war. Jene, die in der Mission Crontrol in Roswell, New Mexico, saßen, erinnern sich an einen Moment der Stille, als Baumgartner den Druck in der Kapsel und im Anzug abstellte.
Er stellte sich an den Rand der Kapsel und er sprach die Worte "I'm coming home now", die in einem kurzen Moment mit Kommunikationseinbrüchen verfälscht als "I'm going home" ankamen. Zuvor gelang es ihm aber noch, die passenden Worte zu finden: "Ich weiß, dass die ganze Welt jetzt zuschaut und ich wünschte, sie könnte sehen, was ich jetzt sehe. Manchmal musst du hoch hinaus, um zu verstehen, wie klein du wirklich bist."
Inmitten all dieser Intensität der Situation erlaubte er sich selbst, sich einen Moment der Stille und des Friedens bewusst zu machen. Er zwängte sich hinaus, Füße voran und mit so wenig Bewegung wie möglich, um die Kontrolle über den freien Fall zu behalten.
Das sollte ihm letztendlich nicht wirklich helfen: Er drehte sich unkontrolliert und er wusste, dass er das wieder hinbiegen musste, bevor er in die dickere Luft kam. Nachdem es dort oben so gut wie keinen Wind gibt, brachten ihm seine Skills nicht wirklich viel, dennoch gelang es ihm, die Drehbewegung wieder unter Kontrolle zu bringen, auch wenn er bis heute nicht wirklich weiß, wie ihr das bewerkstelligte. Er nennt diese ganze Situation in der Nachbetrachtung: "Den Teufel unter Kontrolle halten".
Manchmal musst du hoch hinaus, um zu verstehen, wie klein du wirklich bist.
Das Ziel, die Schallmauer zu durchbrechen, war zunächst schnell vergessen gewesen. Die Hälfte der Wissenschaftler hatte ihn gewarnt, dass er sich in der Luft ohne Kontrolle drehen würde, die andere Hälfte meinte, dass gar nichts passieren würde. Wie sich später herausstellen sollte, lag die Wahrheit irgendwo dazwischen.
Nach einer Minute und 20 Sekunden befand er sich 18.900 Meter unter der Armstrong-Grenze, wo das Blut zu kochen anfängt, sofern man keinen entsprechenden Anzug trägt. Er war, wie er es selbst formuliert, "stabil wie ein Fels" und dazu in der Lage, die Erfahrung zu genießen. Und langsam aber sicher verwandelte sich das Schwarz des Alls in das Blau des Himmels.
Sobald er die Höhe von 10.400 Metern erreicht hatte, begann der Anzug, den Druck zu reduzieren. Jetzt hing vor allem alles davon ab, ob sich der Fallschirm öffnen würde -- und das tat er bei 2.750 Metern auch ohne Probleme. Er öffnete sein Visier und konnte endlich wieder befreit Sauerstoff einatmen.
"Ich war unheimlich glücklich", erinnert er sich. "Für mich fühlte sich Red Bull Stratos an, als wäre ich viele Jahre im Gefängnis gewesen. Dann endlich, als sich der Fallschirm an diesem Tag öffnete, hatte ich das Gefühl, als würden sich diese Gefängnistore wieder öffnen. Ich war endlich wieder frei, denn in der gesamten Freizeit dieser Zeit dachte ich nur an eines: Red Bull Stratos. Du wachst mit Red Bull Stratos auf, du atmest Red Bull Stratos, du gehst mit Red Bull Statos zu Bett. Das ist der Grund, warum ich mein Visier öffnete...für mich war das schlicht und einfach eine unglaubliche Erleichterung."
Nachdem das gesamte Abenteuer beinahe perfekt über die Bühne ging, wurde er nur noch von dem Gedanken geplagt, die Landung nicht zu vermasseln: "Ich wollte eine saubere Landung hinlegen. Sollte mir das gelingen, dann bin ich glücklich."
Und alles verlief genau nach Plan: Nach der Landung umarmte er Thompson jubelnd am Boden, bevor er in einen Helikopter stieg, um zurück zur Mission Control transportiert zu werden und ausgiebig mit dem Team feiern zu können.
Die Party endete mit einem Blick auf den Sonnenaufgang -- direkt hinter der Location, an der er zu seinem großen Abenteuer aufgebrochen war. Es folgte eine weitere Nacht ohne Schlaf, diesmal aufgrund des Adrenalins und der Euphorie. Mission accomplished!
"Das war der erste Moment, an dem ich da saß und wusste, dass ich es geschafft hatte. Es war ein Erfolg! Jeder war glücklich. ICH war glücklich und musste nicht mehr in meinen Anzug steigen, es gab keine Tests mehr...Ich war frei von Red Bull Stratos. Damit hatte ich mir meine Freiheit zurück geholt, die ich in all diesen Jahren der Vorbereitung verloren hatte", reflektiert Baumgartner weiter.
Im Nachhinein fühlte es sich an, als hätte die gesamte Welt zugesehen. Er gehörte anschließend zu den bekanntesten Gesichtern des Planeten und es schien so, als würde er ihn jeder Lebenssituation von Fremden angesprochen werden -- egal, ob er gerade auf dem Weg ins Restaurant war oder einfach sein Auto volltankte.
Zehn Jahre später ist er noch immer der Mann, der vom Rand des Weltalls gefallen ist -- und es gelingt ihm noch heute, diesen Tag so Revue passieren zu lassen, als wäre er gestern gewesen.