Sie ist eine der schnellsten Frauen der Welt: Konstanze Klosterhalfen, die alle Koko nennen, ist das größte Lang- und Mittelstreckentalent, das Deutschland aktuell zu bieten hat. Erst im Februar hat die 23-Jährige den Hallen-Europarekord über 5.000 Meter geknackt, bei der WM in Doha erlief sie eine Bronzemedaille über die gleiche Distanz - die erste Medaille über 5.000 Meter für Deutschland in der Geschichte. Und überhaupt ist sie Meisterin im Rekorde brechen.
Die gebürtige Bonnerin lebt und trainiert mittlerweile in den USA, genauer in Beaverton, einer 100.000 Einwohner-Stadt westlich von Portland/Oregon. Seit Monaten ging es dort für sie vor allem um ein großes Ziel: die Sommerspiele in Tokio. Die sind nun erst einmal verschoben.
Als dieses Gespräch stattfindet, ist Koko in ihrem Apartment unweit ihres Trainingsgeländes. In Deutschland ist es 22 Uhr, ein Samstagabend, in Beaverton neun Stunden früher. Wir sprechen über die Menschen, die auf ihren Balkonen applaudieren - für Pflegepersonal, Ärzte, Supermarktangestellte und andere Helfer, die aktuell mit wenig Pausen im Einsatz sind. „Von den Balkonen? Das ist schön!“, sagt Klosterhalfen.
Gibt es das in Beaverton auch?
Nein, so etwas habe ich hier noch nicht mitbekommen. Hier kommt auch alles etwas verspätet an. Mittlerweile sind aber die meisten Läden geschlossen und es steht Sicherheitspersonal an den Läden, die noch geöffnet haben. Ich versuche, nur noch so wenig wie möglich in den Supermarkt zu gehen, habe Kontakte deutlich eingeschränkt. Eigentlich wäre ich jetzt wohl in einem Coffeeshop oder vielleicht auch in einem Nationalpark mit Leuten aus meinem Team. Ich bin nicht gerne drinnen. Aber da hat man ja jetzt nicht die Wahl...
Nur beim Krafttraining sieht man manchmal jemand aus dem Team.
Wie geht es dir?
Es ist eine verrückte Zeit und die Gesamtsituation ist bedrückend. Dadurch, dass ich hier in den USA allein bin und meine Familie in Deutschland ist, habe ich nicht viel Kontakt mit anderen Menschen. Das ist schon manchmal einsam.
Das heißt beim Training bist du auch allein?
Die Trainingseinheiten absolvieren wir jetzt weitgehend allein, ja. Nur beim Krafttraining sieht man manchmal jemand aus dem Team. Normal trainieren wir zusammen mit sieben bis acht Leuten.
Du wohnst in einem Apartment nahe deiner Trainingsstätte. Wie ist die Lage dort: Sind alle Trainingskollegen dennoch da?
Nein, es ist schon deutlich leerer und weniger los. Viele konnten aufgrund der Reiseeinschränkungen gar nicht erst zurückkommen und sind bei ihren Familien geblieben, auch mein Trainer Pete Julian. Er ist sonst zwischen Familie und Arbeit hin und her gereist, das geht jetzt natürlich nicht mehr.
Aber er trainiert dich weiter - wie macht ihr das?
Das klappt auch auf Distanz soweit gut. Ich trainiere nach Plan und nach jeder Einheit facetimen wir und besprechen sie dann nach. Insgesamt habe ich jetzt auf jeden Fall sehr viel mehr Telefon-Minuten auf dem Konto. Auch mit Freunden und Familie in Deutschland spreche ich mehr als vorher. Jeder hat jetzt mehr Zeit, das ist auch mal schön.
Und was machst du mit der Zeit, wenn du nicht telefonierst oder trainierst?
Mehr für die Uni. Und ich bestelle Dinge online, die ich schon lange bestellen wollte...ich spiele mehr Querflöte, dazu komme ich sonst auch kaum. Und ich habe sogar überlegt mich mal bei TikTok anzumelden - aber so weit ist es doch noch nicht... (lacht)
Das Training nimmt viel Zeit in Anspruch und das gibt mir ein Stück weit Normalität und Sicherheit.
Dein Trainer ist nicht da, du musst das meiste allein machen - wie stark hat sich der Ablauf deines Trainingsplans verändert?
Laufen ist unkompliziert, abgesehen von den genannten Punkten kann ich mein Training weiterhin ziemlich normal umsetzen. Zum Glück, denn es nimmt viel Zeit in Anspruch und das gibt mir ein Stück weit Normalität und Sicherheit. Etwas anders ist es aber doch: Wäre die Saison - wie geplant - in einem Monat losgegangen, hätten wir jetzt angefangen meine Schnelligkeit zu trainieren. So stehen die Grundlagen und Krafttraining erstmal weiter im Fokus.
Dein Trainer hat mal gesagt, eine seiner wichtigsten Aufgaben sei, dich zu bremsen. Jetzt bremst das Virus das ganze Leben aus, wie fühlt sich das an?
Ich fühle mich nicht ausgebremst, im Gegenteil: Beim Training kann ich alles rauslassen und vergessen, das ist ja fast das Einzige, was noch einigermaßen normal ist. Klar ist es eine Herausforderung in so einer Zeit bei sich zu bleiben, sich zu fokussieren.
Wie motivierst du dich?
Ich vertraue und hoffe darauf, dass dieses Jahr noch Wettkämpfe kommen und habe mir daher schon neue Highlights gesucht. Beispielsweise hat Nike in Aussicht gestellt, dass eigene Rennen veranstaltet werden, zunächst eben ohne Zuschauer - ähnlich der Geisterspiele beim Fußball. Auch die World Athletics will an möglichen Wettkämpfen festhalten. Ich denke, die Sommersaison wird schon irgendwie stattfinden, nur etwas später als sonst, und vielleicht ohne Zuschauer. Und da will ich natürlich in bester Form sein.
Ich habe eigentlich bis zuletzt nicht dran geglaubt, dass so ein großes Event verschoben wird.
Die Spiele in Tokio sollten das sportliche Highlight dieses Jahres werden, jetzt sind sie auf 2021 verschoben. Wie hast du das aufgenommen?
Erstmal war ich geschockt, weil dieser Schritt ja auch zeigt, wie ernst die Lage weltweit ist. Bis dahin dachte ich: In ein paar Wochen ist alles beim Alten. Ich habe eigentlich bis zuletzt nicht dran geglaubt, dass so ein großes Event verschoben wird - jedenfalls nicht um ein ganzes Jahr. Tokio war das Ziel der Saison.
Wie und wo hast du von der Verschiebung erfahren?
Ich habe es gelesen, mein Trainer hat mir auch eine Nachricht geschrieben. Wir haben dann direkt telefoniert, danach habe ich es schon nicht mehr als so gravierend empfunden. Klar, ich war jetzt wirklich lange nicht zuhause, damit ich mich hier auf die Spiele vorbereiten konnte und das Training und die Planung waren auf Tokio ausgerichtet. Aber ich sehe es jetzt so: Die Verschiebung gibt mir ein Jahr mehr Zeit, schneller und stärker zu werden.
Wenn du in einem Jahr auf diese Zeit zurückblickst - glaubst du, dass sich irgendetwas in deinem Leben positiv verändert haben wird durch diese Zeit?
Etwas Positives aus einer Zeit zu ziehen, in der so viele Menschen und die ganze Welt so viel Leid erfahren, ist sicherlich schwierig. Aber dennoch, man spürt das Miteinander in der Gesellschaft: Alle versuchen mehr als vorher an einem Strang zu ziehen, das ist irgendwie schön. Dinge wie ein Team lernt man wieder anders zu schätzen. Ich glaube, das macht einen mental und als Persönlichkeit stärker.
Ich glaube, dass wir alle in Zukunft viele Sachen und Dinge noch mehr schätzen werden.
Glaubst du, dass sich im Sport etwas nachhaltig verändern wird?
Ich glaube, dass wir alle in Zukunft viele Sachen und Dinge noch mehr schätzen werden, weil wir sehen, dass unsere bisherige gelebte Normalität keine Selbstverständlichkeit ist. Und ich glaube auch, dass wir den organisierten Sport mehr wertschätzen werden. Dass es möglich ist, zusammen zu trainieren und sich gegen Athleten aus der ganzen Welt zu messen. Sport ist sicher nicht die wichtigste Sache in dieser Situation, aber wenn Menschen wieder in Stadien gehen können, wird man merken, wie sehr der Sport in unserem Alltag verankert ist.
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