Biohacker Ben Greenfield strebt nach dem perfekten Leben.
© Joe Pugliese
Biohacking

Ben Greenfield: Lebt der Biohacker das perfekte Leben?

Ben Greenfield ist der aktuell wahrscheinlich fitteste und gesündeste Mann und ziemlich sicher der weltweit einflussreichste Biohacker. So kommt er der Idee vom perfekten Leben ziemlich nahe.
Autor: Andreas Breitfeld, Stefan Wagner
17 min readPublished on
Ein Gespräch über Gentests und Kälte, über das Verspeisen von Bandwürmern, über den Menschen als Maschine, übers Barfußlaufen, selbstsüchtigen Bullshit, über Gott (buchstäblich) und die Welt (ebenfalls buchstäblich) und warum es eine gute Idee ist, E-Mails erst nachmittags zu beantworten.
Ben Greenfield lebt auf einer Farm mitten im Wald in Spokane im Bundesstaat Washington, eigenes Eisbecken, eigenes Gym. Seine 13-jährigen Zwillingsbuben unterrichtet er gemeinsam mit seiner Frau zu Hause, und nicht nur in den üblichen Fächern: Die Buben veröffentlichen einen Podcast und jagen mit ihrem Vater im Wald mit Speeren sowie Pfeil und Bogen, danach wird das erlegte Wild zubereitet.
Ben Greenfield will sein Wissen mit Menschen teilen, um ihnen zu helfen.

Ben Greenfield will sein Wissen mit Menschen teilen, um ihnen zu helfen.

© Joe Pugliese

Ben Greenfield liest ein Buch und veröffentlicht zwei Podcasts pro Woche, er hält Vorträge in der ganzen Welt (Dollar-Honorar: komfortabel fünfstellig), hat mit „Kion“ eine Supplement-Company aufgebaut, mit „Boundless“ das aktuell gültige Standardwerk zum Thema Biohacking verfasst. Außerdem ist sein Sexleben erstklassig (er hat den Hacks eigene Podcast-Folgen gewidmet), und er hat das große Glück, ernsthaft gottgläubig zu sein.
Er steht üblicherweise gegen vier Uhr morgens auf, seine Arbeitstage beginnen aber nicht vor zehn Uhr, denn davor lernt, liest und schreibt er, erledigt Workouts, Meditationen und kümmert sich um die Familie, außer The Red Bulletin INNOVATOR fragt um einen Interviewtermin an, dann lässt sich da ausnahmsweise auch vor zehn was machen. Wir wissen das zu schätzen. Das Interview führten Andreas Breitfeld und Stefan Wagner. Die beiden neigen ein wenig zum Atheismus. Breitfeld trägt sich seit dem Gespräch mit Greenfield aber ernsthaft mit dem Gedanken, eine Bibel anzuschaffen.
THE RED BULLETIN INNOVATOR: Ben, Headline dieses Artikels ist „Lebt dieser Mann das perfekte Leben?“. Tut er das?
BEN GREENFIELD: Körperliche, geistige, spirituelle Perfektion? Nein. „Strebt dieser Mann nach dem perfekten Leben?“, stellt mir diese Frage, darauf sage ich ja. Aber lebt er es? Nein. Schafft kein Mensch. Will ich gar nicht.
Wieso willst du das nicht?
Es bereichert unser Leben, dass wir immer wieder verletzt sind, krank, unglücklich, unzufrieden. Dieses sisyphosartige uphill battle ist gut für uns. Es hält uns bescheiden, weil es uns klarmacht: Wir sind endlich. Stellt euch vor, wir wären alle perfekt. Gäbe es dann noch Fortschritt in Medizin, Technik, in allen Fragen der Gesundheit? Nein. Weil der Antrieb fehlen würde. Ich selbst hatte meine Themen mit dem Darm, mit dem Schlaf, und in der Beschäftigung damit habe ich viel gelernt, wie ich anderen helfen und damit letztlich auch die Welt ein kleines bisschen verbessern kann. Nein, ich lebe kein perfektes Leben, ich werde das nie tun, ich werde weiterhin jeden Tag danach streben, im Wissen, dass ich jeden Tag am Versuch scheitere.
Ist das für einen professionellen Biohacker der Sinn des Lebens? Nach Perfektion streben?
Jedenfalls geht es im Leben meiner Meinung nach darum, dem optimalen Level näher zu kommen, auf dem Körper, Geist und Seele funktionieren können. Dafür stehen uns unglaublich viele Möglichkeiten zur Verfügung, jahrtausendealte und hypermoderne Tools, Rotlichttherapiegeräte, hyperbare Sauerstoffkammern, Supplements, Nootropics, smart drugs, unser enormes Wissen über Ernährung, über Hyperthermie, Thermogenese. Es liegt nur an uns selbst, diese Möglichkeiten zu nützen. Und sehr, sehr viele Menschen könnten diesem optimalen Zustand sehr leicht sehr viel näher kommen.
Mach einen Gentest, Mann! Der Aufwand ist lächerlich gering im Vergleich zum Wissen, das du bekommst.
Laut Ben Greenfield ist ein ordentlicher Check der erste Schritt, um die eigene Gesundheit zu verbessern.
Du bist tiefgläubig. Wie verträgt sich der Glaube an eine höhere Macht mit der Grundidee des Biohacking? Biohacking heißt doch, konsequent die Verantwortung fürs eigene Leben zu übernehmen.
Warum soll ich mich mit dieser Frage auseinandersetzen? Ich bin Judeo-Christ, Gott ist die Instanz der absoluten Wahrheit in meinem Leben. Dass diese Instanz nicht komplett erforscht werden kann, hab ich akzeptiert. Ich habe nicht zu 100 Prozent Einfluss auf mein Leben, werde ich nie haben, ich tue also einfach, was in meiner Hand liegt: Ich wache jeden Tag auf und suche nach Wegen, wie ich mehr Energie haben kann, wie ich meine geistige Leistungsfähigkeit verbessern, wie ich life span und health span – also wie lang mein Leben dauert und wie lang ich gesund bleibe – in ein optimales Verhältnis bringen kann. Wie ich mit den Belastungen umgehen kann, die immer mehr zunehmen, mit der Umweltverschmutzung, der unnatürlichen elektromagnetischen Strahlung. Wie ich spirituell wachsen, Gott näherkommen kann. Ich wache jeden Tag auf und bin einfach nur neugierig, im Wortsinn gierig auf Neues, ich will diese Fachartikel lesen, die Bücher, die Audiobooks hören, Podcasts, ich will jeden Abend zu Bett gehen und sagen können: Ich weiß jetzt mehr über Körper, Geist und Seele als am Morgen. Und ich will das, was ich gelernt habe, nützen. Für mich, aber viel mehr für meine Familie, Freunde, für andere Menschen.
Okay, in einem Satz: Was ist nun der Sinn des Lebens, in den Worten des einflussreichsten Biohackers der Welt?
Gottes Schöpfung auskosten und genießen, das ist der Sinn des Lebens. Jeden Tag mit einem breiten Grinsen aufwachen, weil wir auf diesem magischen Plane­ten leben dürfen. Andere lieben und die goldene Regel befolgen: Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst. Entscheidungen so treffen, dass sie anderen nützen und nicht in erster Linie dir selbst. Heraus­finden, was deine Fähigkeiten sind, und mit diesen Fähigkeiten Einfluss nehmen auf diesen Pla­neten, an jedem Tag, an dem du das Glück hast, hier sein zu dür­fen. So sehe ich das. Von einem evolutionären Standpunkt aus betrachtet sind wir vielleicht nicht mehr als ein paar hoffnungslose Klumpen Fleisch auf einem Felsen, der durchs Weltall rast, während wir versuchen, uns an Maslows Pyramide der Bedürfnisse ab­zuarbeiten, essen, trinken, Sex haben, uns die soziale Leiter raufkämpfen. Damit gebe ich mich nicht zufrieden. Ich sage: Tu das, was du am besten kannst, mach damit die Welt besser. Und liebe.
Ziemlich witzig, dass die Französin, die derzeit den Rekord hält, mit 121 oder 122 Jahren, jeden Tag eine Zigarette rauchte und ihr Gläschen trank.
Gewisse Gifte sind in geringen Dosen der Gesundheit sogar förderlich, so Greenfield.
Grundlage von all dem ist die eigene Gesundheit. Korrekt?
Uh, nein. Völlig falsch. Es geht nicht um deine Gesundheit. Es geht um die Gesundheit der an­deren, die körperliche, geistige, seelische Gesundheit aller Men­schen, mit denen du zu tun hast. Deine eigene Gesundheit ist dafür nur ein Tool. Du musst gesund genug sein, um für andere da sein zu können. Viele betreiben einen Kult um ihre Gesundheit, ihre Leistungsfähigkeit und Produk­tivität, um ihre Fitness, um toller auszusehen, noch mehr Geld zu verdienen. Das ist selbstsüchtig, selbstverliebt, egoistisch. Und wahnsinnig unbefriedigend. Es geht nicht darum, dich selbst zu optimieren. Es geht darum, dass du gut genug in Form bist, um für andere da sein zu können. Probier das mal aus, du wirst sehen, dann wird die Sache unglaublich befrie­digend! Gesundheit, Fitness, Bio­hacking bekommen dadurch erst ihre Bedeutung, ihre Tiefe. Und sobald du das verstanden hast, setzt sich ganz automatisch ein Limit für die Zeit und den Aufwand, den du ins Biohacking investierst. Dann kommt ein Begriff wie minimal effective dose ins Spiel. Zwei Stunden Gym? Nett, aber du kannst in 20 oder 30 Minuten High Intensity Training oder Super Slow Training denselben Effekt erzielen. 30 Minuten Kälte­exposition sind unnötig, wenn du zwei Minuten in Eiswasser mit null Grad sitzt. Selber Effekt, Bruchteil der Zeit, so gehe ich an Biohacking heran. Nicht wie viel Zeit ich damit verbringen kann, sondern wie wenig. Und wie viel mehr Zeit mir dadurch bleibt für meine Frau, meine Kids, für Leute, die meine Hilfe brauchen könnten.
Greenfield empfiehlt Schlaftracker, für noch genauer Einblicke.

Greenfield empfiehlt Schlaftracker, für noch genauer Einblicke.

© Joe Pugliese

Wo ist die Grenze zwischen nötig und unnötig in der Praxis?
Da geht es um Effizienz und Effektivität. Dabei helfen dir drei Dinge. Das erste: Selbstvermes­sung. Lass dein Blut, Mikrobiom, den Hormon­status, Speichel, Urin, deine Genetik testen. Vor ein paar Jahren hat das noch zehntausende Dollar gekostet, jetzt lässt du dir um ein paar Dollar all diese Tests nach Hause schicken. Der Fortschritt in diesem Bereich ist ein­fach nur unglaublich. Es gibt richtig gute Devices, die deine Herzratenvariabilität messen, deinen Schlaf. Das gibt dir laser­scharfes Feedback auf alles, was du tust. Und vor allem: Du arbei­test nicht mehr im Blindflug an irgendwelchen Verbesserungen und verschwendest jede Menge Zeit mit dem Optimieren von Dingen, die ohnehin in Ordnung sind. Schritt eins ist also: Check dir ein Wearable, das deinen Schlaf trackt und deine HRV, Ruhepuls, tägliche Schritte, deine Körpertemperatur. Check dir einen ordentlichen Gentest. Mach einen Stuhltest und finde heraus, ob in deinem Darm alles okay ist, mit Hefen, Pilzen, Parasiten, wie die Entzündungswerte aussehen. Prüfe deinen Hormonstatus und deine Neurotransmitter über Speichel und Urin. Investiere in ein richtig gutes Blutbild mit Mikronährstoffstatus.
Gib anderen Menschen Energie. Hilf ihnen. Das kostet dich keine Energie, es gibt die welche. Probier es aus!
Für Ben Greenfield ist es wichtiger, anderen zu helfen, als sich selbst zu optimieren.
Zu Hause einen Gentest zu machen ist noch nicht wirklich Mainstream. Kann man nicht ein wenig niederschwelliger starten?
Es gibt keinen Grund, das nicht zu tun, Mann! Gentest heißt, ein Wattestäbchen in den Mund zu nehmen. Der Aufwand ist lächer­lich gering im Vergleich zum Wissen und zur Klarheit, die dir all das gibt.
Gut, Nummer eins war Testen. Nummer zwei?
Mach es zu einem Teil deines Bewusstseins, für andere da zu sein. Andere zu lieben. Das ist der innerste, der wichtigste Fokus deines Lebens. Wenn du den ver­lierst, wachst du am Morgen auf, und die einzige Frage ist: Was kann ich mir heute Gutes tun? Dann kommen diese ganzen Affirmationen: Ich bin so toll, ich bin so groß­artig, ich kann alles im Leben erreichen. Das ist selbstsüchtiger Bullshit.
Was tust du als Erstes, wenn du morgens aufwachst?
Ich frage mich: Wofür bin ich dankbar? Wem kann ich Gutes wünschen, Gutes tun? Und am Abend frage ich mich: Was hätte ich heute besser tun können? Wann habe ich heute die innigste Verbindung zum Sinn des Lebens gespürt? Wenn ich an diesem Tag zwei Stunden im Gym verbracht habe, 45 Minuten in der hyperbaren Sauerstoffkammer, wenn ich ausgiebige Sauna­ und Kältesessions hinter mich gebracht habe, nun ja, dann wird nicht viel Zeit übrig geblieben sein, in der ich für andere da war. Das mag vielleicht ein perfekter Biohacking-­Tag gewesen sein, in den Augen anderer, in meinen Augen war es ein vergeudeter Tag, ein Tag mit zu viel Biohacking.
Okay, wir hatten da jetzt Selbstvermessung und Liebe als die ersten beiden Orientierungs­punkte an der Kreuzung von Effizienz und Effektivität. Was ist Nummer drei?
Jetzt werden manche Leute sagen, das ist ein wenig, hm, wunderlich. Aber egal. Die Wurzel der menschlichen Emotionen war niemals und wird niemals das Gehirn sein. Das ist das Herz oder, wie man sagt, das Bauchgefühl. Nummer drei ist: Stell dir ehrliche Fragen, lass sie vom Herzen beantworten. Das Herz kennt die Wahrheit.
Ben Greenfield trinkt Quellwasser, um die Zellen optimal zu versorgen.

Ben Greenfield trinkt Quellwasser, um die Zellen optimal zu versorgen.

© Joe Pugliese

Wie würdest du jemanden, der noch nie davon gehört hat, in zwei Minuten für Bio­hacking begeistern? Für die Möglichkeiten, sein eigenes und das Leben anderer zu ver­bessern, indem man Verantwortung für die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit, für das eigene Lebensglück übernimmt?
Ich würde es so sagen: Der menschliche Körper ist kein Computer, aber er ist programmierbar. Er hat etwas von einer Maschine, und du kannst sehr gut dafür sorgen, dass sie besser funktio­niert, sauberer läuft.
Was ist der erste Hack, den du empfiehlst?
Ich würde dich als Erstes fragen: Womit bist du unhappy? Wenn jemand schon weiß, wie wichtig Training ist, und er sich im Alltag viel bewegt, statt nur rumzusitzen, brauchen wir über dieses Thema vorläufig nicht zu reden. Und auch wenn Schlaf fundamental ist: Ich werde dir nichts zu deinem Schlaf raten, wenn du zu einer vernünftigen Zeit ins Bett gehst, dein Zimmer dunkel, kühl und ruhig hältst und dein Schlafzimmer nicht zum Arbeiten oder Fernsehen missbrauchst. Denn dann machst du schon sehr vieles richtig. Natürlich kannst du, wenn du willst, immer noch optimieren. Dann würde ich dir ein Chilipad empfehlen, das 12, 13 Grad kaltes Wasser unter deinem Körper durchs Bett leitet, und ein Paar Wollsocken, um die Füße warm zu halten. Ich würde dir raten, drei Stunden vor dem Schlafengehen kalt zu duschen, damit deine Körperkerntemperatur absinkt. Wenn jemand sagt, dass sein Darm Troubles macht: Stuhlanalyse. Daran führt kein Weg vorbei. Einen Nahrungsmittel-Allergietest, einen DNA-­Test. Das hilft uns, genau zu sagen, aus welcher Weltgegend deine Vorfahren kommen, an welche Nahrungsmittel du daher evolutionär angepasst bist und welche dein Immunsystem verrückt spielen lassen. Wir werden die Tools der Selbstvermessung nützen, um deine Ernährung optimal an dich anzupassen. Denn Ernährung ist, von ein paar Basics abgesehen, etwas Individuelles: Was für dich passt, kann für jemand anderen komplett falsch sein.
Was sind diese Ernährungs­-Basics, die für jeden gelten?
Verarbeitete Nahrungsmittel und raffinierte Pflanzenöle weglassen, wenig Zucker und Alkohol, Koffein nicht übertreiben. Einfach natürliches Zeug essen und hin und wieder ein bisschen fasten.
Eisbäder wirken wie Workouts für die Zellgesundheit, so Greenfield.

Eisbäder wirken wie Workouts für die Zellgesundheit, so Greenfield.

© Ben Greenfield Fitness

Wenn jemand Bewegung, Schlaf und Ernährung schon halb­wegs im Griff hat, dann beginnt richtiges Biohacking, nicht?
Dann ist Zeit für diesen „From Good to Great“-Ansatz. Nummer eins ist dann ganz klar: die Kraft der Photonen nützen. Licht. Dieser riesige Stern über uns ist eine Quelle purer Energie. Geh raus ins Freie, täglich 20 bis 60 Minuten, und wenn du die Wirkung verstär­ken willst, nimm so etwas ein wie Methylenblau oder Chaga-­Extrakt. Dein Körper kann die Photonen dann effizienter nützen, um Elek­tronen und ATP zu produzieren. Bringe Infrarot­-Panels im Büro an, setze dich in eine Infrarotkabine. Du kannst deinen zirkadianen Rhythmus steuern, indem du punktuell Blaulicht einsetzt, mor­gens oder vormittags, mit Geräten wie dem Human Charger oder den Re­Timer Glasses. Nummer eins, wenn du die Themen Be­wegung, Schlaf und Ernährung schon halbwegs im Griff hast, ist also Licht. Nummer zwei ist, das elektrische Potenzial des Planeten zu nützen, auf dem wir leben. Gehe barfuß auf natürlichem Boden, auf Gras oder im Wald. Stelle Kontakt zur Oberfläche des Planeten her. Schwimme in einem natürlichen Gewässer. Klettere auf Felsen rum, auf Bäumen, zieh dein Shirt aus, leg dich in eine Wiese. Das ist unglaublich gut für dich, es hemmt Entzündungen, kurbelt deine ATP-Produktion an, ganz ähnlich wie die Photonen der Sonne. Nummer drei und vier sind Hitze und Kälte: Es ist völlig klar, dass es einen riesigen Vorteil für die Langlebigkeit bringt, wenn du regelmäßig deine Temperatur-Komfortzone verlässt. Hitze und Kälte sind Workouts für deine Zellgesundheit. Nächster Punkt: Wasser und Mineralien, vorzugsweise Wasser, das Quellwasser so nahe wie möglich kommt, das so strukturiert ist, dass es deine Zellen effizienter versorgen kann.
Die meisten dieser Hacks sind wissenschaftlich akzeptiert. Andere nicht – oder noch nicht. Was ist dein Punkt dazu, zum Beispiel bei Erdung?
Sieh dir die Dokumentation „Earthing“ an, lies das Buch von Clinton Ober, es gibt reichlich wissenschaftliche Belege für die entzündungshemmende Wirkung des Earthing. Sieh dir die Tonnen an Forschung von der NASA abwärts zu PEMF an, den gepulsten elektromagnetischen Feldern, der konzentrierten Biohack-Form des Erdens. Aber okay, sagen wir mal, dass es für etwas keine wissenschaftlichen Beweise gibt. Dann kommt die Selbstvermessung ins Spiel. Diese berühmte Bio-hacker-Studie mit n = 1, also du als einziger Teilnehmer deiner eigenen Studie. Du schaust, was deine HRV und deinen Schlaf verbessert, deine Power beim Training, deine Körpertemperatur, deine Blutwerte oder irgendwas anderes, was du eben messen kannst. Ich selbst mach das genauso, teste, messe, gehe dann auf PubMed und informiere mich über die bisherigen Studien zum Thema.
Greenfield geht es nicht Linie um sein Aussehen, sondern sein Wohlbefinden.

Greenfield geht es nicht Linie um sein Aussehen, sondern sein Wohlbefinden.

© Ben Greenfield Fitness

PubMed ist die wichtigste wissenschaftliche Online-Datenbank. Wie viel Zeit verbringst du dort?
PubMed und Fachartikel gemeinsam ... so sieben bis acht Stunden pro Woche. Aber das muss niemand tun. Es ist Teil meines Jobs, dass ich diese Research mache und den Leuten das Wichtigste zusammenfasse.
Auf deiner Website bezeichnest du dich als „unerbittlichen Selbstexperimentierer und Versuchskaninchen“. Was war das Verrückteste, was du je ausprobiert hast?
Ich mache nichts, was ich für super crazy halte, so wie diese ursprünglichen Biohacker, die sich Chlorophyll in die Augäpfel injiziert haben, um ihre Nachtsicht zu verbessern. So etwas tue ich nicht. Was ihr vielleicht für verrückt halten könntet, war die Helminthen-Therapie, um mein Immunsystem zu stärken, als ich extrem viel auf Reisen war.
Helminthen-Therapie?
Ich hatte viel darüber gelesen, dass der Verzehr von gewissen Würmern das Immunsystem stärken kann. Ich besorgte mir also aus einem Labor solche Würmer, nahm sie sechs Monate lang ein und wurde tatsächlich kein einziges Mal krank, auch wenn ich jede Woche zwei-, dreimal im Flugzeug saß. Oder etwas anderes: Ich wollte herausfinden, ob ich ohne Training, nur durch elektrische Muskelstimulation, Muskeln auf bauen kann. Mein Experiment dauerte acht Wochen. Null Training, nur EMS, in hoher Intensität. Ergebnis: plus zehn Pfund Muskulatur. Bandwürmer zu schlucken oder sich Elektroschocks durch die Muskulatur zu jagen mag verrückt klingen, aber in solchen Fällen beschäftige ich mich davor wochenlang sehr intensiv mit einem Thema. Und es gab da wie dort eindeutige Beweise, im EMS-Fall reichen die Forschungen ins Russland der Fünfzigerjahre zurück.
Im Biohacking geht es immer auch um Lang­lebigkeit, vor allem darum, wie lang man im Alter gesund bleiben kann. Wie wird das sein, wenn Ben Greenfield alt ist?
Die maximale menschliche Lebenserwartung scheint nach aktueller Forschung irgendwo zwischen 115 und 121 Jahren zu liegen. Ziemlich witzig, dass die Französin, die derzeit den Rekord hält, mit 121 oder 122 Jahren, jeden Tag eine Zigarette rauchte und ihr Gläschen trank. Was war ihr Trick? Sie hatte wirklich gute Beziehungen in ihrem Leben, viel Liebe, das hielt sie gesund. Und wegen der Zigarette und des täglichen Gläschens: Wir wissen ja, dass manche Gifte aus Pflanzen, Kräutern und Gewürzen, wie auch Sonnenlicht und Hitze und Kälte, in kleinen Mengen unsere Gesundheit fördern. Drei Stunden in der Sauna, eine Stunde im Eisbad, ein Kilo Zimt essen, das ist natürlich alles schädlich, aber kleine Mengen: super. Es gibt sogar die Hypothese, dass die eine Zigarette, die diese Französin jeden Tag geraucht hat, sie tatsächlich stärker gemacht hat, nach dem Konzept der Hormesis: Durch den Kontakt mit einem Toxin stärkt sich dein Körper von selbst.
Greenfield ist immer auf der Suche nach effektiven Trainingsvarianten.

Greenfield ist immer auf der Suche nach effektiven Trainingsvarianten.

© Ben Greenfield Fitness

Wie alt willst du werden?
Es ist mir egal, wie lange ich lebe. Mir ist wichtig, dass ich, solange ich lebe, mit maximaler Wirkung für andere da sein kann. Wenn ich mit 80 Jahren sterbe, ist das für mich völlig in Ordnung. Es geht nicht um irgendeine Zahl. Es geht um meinen Beitrag zur Gesellschaft, den ich leisten kann, solange ich hier bin. Das ist auch eine Warnung, die ich den Leuten in der Biohacking-Industrie geben möchte: Wenn du unbedingt leben möchtest, bis du 150 bist, aber es geht dir beschissen, du frierst und hungerst, hast keine Libido und hängst die Hälfte der Zeit in einer Kryotherapie-Kammer rum, in einer Sauna, in einer hyperbaren Sauerstoffkammer oder in allen dreien. Was ist das dann außer purem Egoismus? Außer geistiger Masturbation, dass man ein bisschen länger lebt als andere Leute?
Identifiziere deinen einzigartigen Lebenszweck. Wofür du auf diesen Planeten bist. Wenn du das weißt, ist es verdammt schwer, nicht motiviert zu sein.
Greenfield empfiehlt sich in unmotivierten Lebensphasen auf Dinge zu fokussieren, in denen man von Natur aus gut ist.
Was tust du, wenn du mal keine Motivation hast, etwas Gutes für dich zu tun? Jeder kennt solche Tage, an denen man nur rumhängen möchte.
Das Risiko, dass dir solche Tage passieren, kannst du sehr effektiv reduzieren. Auf beinahe null. Du musst dafür deinen einzigartigen Lebenszweck identifizieren, ich hab das in meinen letzten Büchern ausführlich erklärt, hier nur ganz kurz: Suche nach Dingen, die die Zeit vergehen lassen, ohne dass du es bemerkst, nach Dingen, in denen du von Natur aus gut bist. Daraus entwickelst du einen Satz, eine prägnante Aussage, die dir immer wieder in Erinnerung ruft, wofür du auf diesem Planeten bist, wie du das Leben der anderen verbessern kannst. Dieser eine Satz ist wie eine Linse, durch die du jeden Tag deines Lebens betrachtest. Und es ist, wenn du diesen Satz kennst, verdammt viel schwieriger, nicht motiviert zu sein. Wenn du deinen Satz kennst und dennoch mal demotiviert bist, dann ist das Beste, was du tun kannst – hab ich in einem Extremcamp gelernt, einer Art zivilem Gegenstück zur Hell Week der Navy SEALs –, also das absolut Beste: Gib anderen Menschen, so vielen wie möglich, Energie. Diese Energie kommt zu dir zurück. Hilf jemandem, kümmere dich um jemanden. Klingt seltsam, aber es kostet dich keine Energie, es gibt dir Energie. Probier es aus! Drittens: Vergiss nicht, dass es so etwas gibt wie decision fatigue, eine Müdigkeit deiner Entscheidungen. Tu also die Dinge, die Kreativität und Konzentration verlangen, früh am Tag. Ich produziere Podcasts, Bücher nur von vier bis elf Uhr morgens. Am Nachmittag kannst du Dinge tun wie E-Mails beantworten, Telefonate führen, was keine mentale Firepower benötigt. Und schließlich: Der beste schnelle Kick für Motivation und geistige Energie ist ein Sprung in kaltes Wasser, eine eiskalte Dusche oder dein Gesicht in Eiswasser zu tauchen wirkt besser als alle Stimulanzien, Drogen oder Nahrungsergänzungsmittel.