Das Gehirn ist so genial, dass wir es bis heute nicht ganz erforscht haben.
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Biohacking

Biohacking fürs Gehirn: Pushe deine geistige Leistung

Dein Hirn ist schneller, ausdauernder, schlauer, klüger, stärker, netter, ruhiger ... als du denkst. Wie Biohacking fürs Brain funktioniert und du deine geistige Leistung pushst.
Autor: Stefan Wagner
7 min readPublished on
Das Gehirn ist insgesamt noch ein relativ rätselhafter Teil unseres Körpers (zum Beispiel wissen wir immer noch nicht, wie es so etwas wie Bewusstsein herzustellen vermag). Aber wir wissen doch genug, um das Wichtigste gesichert sagen zu können: Es liegt in unserer Hand, unser Leben lang alle Funktionen unseres Gehirns zu verbessern. Tatsächlich: alle. Und tatsächlich: unser Leben lang.

6 Min

Brainboost – Biohacking fürs Gehirn

Das Münchner Start-up „Brainboost“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Gehirnaktivität Mithilfe von Neurofeedback spielerisch zu trainieren.

Französisch

Wir können, solange wir leben, jeden Tag schlauer werden, konzentrierter, intelligenter, schneller, entspannter. Wir können jeden Tag gelassener werden im Umgang mit uns selbst und dem Rest der Welt.
Wir können unser Gehirn trainieren wie unsere Muskeln und unser Herz-Kreislauf-System.
Es gibt also, das ist der unbequeme Teil der Nachricht, ab sofort keine Ausreden mehr, das Gehirn weiter so verlottern zu lassen.
Das im deutschen Sprachraum führende Fitnessstudio für unser Gehirn steht in München, nennt sich „Brainboost“ und ist ein Start-up der Brüder Tobias und Philipp Heiler. Tobias ist Sport- und Wirtschaftswissenschaftler, Philipp ist Arzt. Die beiden hatten ihren ersten großen Auftritt in der Biohacking-Szene vor zwei Jahren mit einer Modellautorennbahn, die nicht über herkömmliche Controller, sondern über Gehirnwellen gesteuert wird: Wer sich besser entspannen kann, kommt schneller voran.

Genialität, 100 Milliarden Mal

Bevor wir uns von Philipp Heiler sein Trainingsstudio für unser Gehirn zeigen und die Übungen fürs Heimtraining erklären lassen, ein wenig Biologie: Unser Gehirn wiegt ungefähr 1,5 Kilogramm, besteht zu 80 Prozent aus Wasser, zu zwölf Prozent aus Fett und zu acht Prozent aus Protein. (Erstes Learning gleich hier: Der zuverlässigste Weg zu verblöden ist, zu wenig Wasser zu trinken.) Unser Gehirn verbraucht rund 20 Prozent der gesamten Energie, die unser Organismus in Ruhe erzeugt. Das ist absolut und relativ viel mehr als jedes andere Organ. Das menschliche Gehirn rechtfertigt diesen Aufwand. Es ist nicht weniger als ein Meisterwerk der Evolution. Wir Menschen sind bisher daran gescheitert, einen Computer mit der Leistungsfähigkeit unseres Gehirns herzustellen: So gut ist nicht einmal unser Gehirn, dass es etwas Besseres erfindet als sich selbst.
Arzt Philipp Heiler mitbegründete das Gehirn-Fitnessstudio „Brainboost“.

Arzt Philipp Heiler mitbegründete das Gehirn-Fitnessstudio „Brainboost“.

© brainboost.de

Was diese 1,5 Kilogramm matschige Masse im Schädelknochen zu einem so genialen, so unfassbar leistungsfähigen System macht, sind die etwa 100 Milliarden Zellen, aus denen es besteht, oder besser gesagt: wie diese Zellen mit sich selbst und den anderen Zellen umgehen. Wie sie elektrische und chemische Reize empfangen, verarbeiten, herstellen und weiterleiten, wann sie das tun – wir sprechen hier von einer Genauigkeit im Millisekundenbereich – und in welcher Frequenz. Die Begriffe dieser Frequenzen kennen wir, Alpha-, Beta-, Gamma-Wellen und so weiter, wir verwenden sie auch, aber kaum jemand weiß wirklich, was mit „Wellen“ gemeint ist.

Eine Symphonie der Schwingungen

Unser Gehirn schwingt sich ja nicht walzer-schwabbelnd durch den Schädel wie durch einen Ballsaal, und es gurgelt und brabbelt auch nicht herum wie die Wellen einer Meeresbrandung. Wenn wir von „Wellen“ oder „Frequenzen“ sprechen, meinen wir die Gesamtheit des Rhythmus, in dem die Zellen miteinander elektrische Impulse austauschen, wie oft pro Sekunde sie, sehr vereinfacht, miteinander reden: Die Hirnwellen sind sozusagen der Pulsschlag unseres Hirns. Die 1 bis 4 Hertz der Deltawellen bedeuten, dass die Zellen ein- bis viermal pro Sekunde elektrische Impulse austauschen, das reicht gerade mal für tiefen Schlaf. Gammawellen, am anderen Ende des Spektrums, schwingen mit 35 bis 45 Hertz, lassen uns Neues besonders gut lernen oder in der Meditation besonders gut fokussieren. (Oder Spielzeugautorennen gewinnen.) Stress und Angst schwingen zwischendrin in den 20 bis 35 Hertz der High-Beta-Wellen, Kreativität entfaltet sich in den 4 bis 8 Hertz der Theta-Wellen.
Ich sitze da, Elektroden am Kopf, am Bildschirm vor mir schwebt ein Mönch.
Autor Stefan Wagner gelingt Entspannung auf Abruf nur bedingt.
Und, wichtig zu wissen, es schwingt nicht das gesamte Gehirn einheitlich (völlig stramme Messungen kennzeichnen gar einen epileptischen Anfall), das ist auch der Unterschied zum Herzschlag, sondern das Gehirn orchestriert in jeder Millisekunde eine eigene Symphonie der Gesamtheit der Milliarden von Schwingungen. Diese Symphonie ist abhängig von der Situation, der Persönlichkeit, dem Zustand des Gehirnbesitzers. Darüber hinaus ist sie absolut einzigartig. Wenn wir wollten, sagt Philipp Heiler, könnten wir die Grundstruktur der Gehirnfrequenzen anstelle des Fingerabdrucks als unverwechselbares persönliches Merkmal nützen. Die Wissenschaft ist außerdem so weit, dass sie aus dem Scan eines Gehirns Persönlichkeitsmerkmale herauslesen kann. Heiler: „Ein unteraktivierter Frontallappen, zum Beispiel, weist auf eine gewisse Neigung zu Konzentrationsschwierigkeiten und depressiven Symptomen hin, ein überaktivierter sensorischer Kortex auf eine Übersensibilität auf Geräusche und auf Einschlafschwierigkeiten. Und so weiter.“ Zeig mir dein EEG, und ich sag dir, ob ich dich mag.

So trainiert man Entspannung

Nach diesem kleinen Ausflug ins Theoretische kehren wir zurück nach München ins Gehirn-Fitnesscenter „Brainboost“. Mein Gehirn absolviert eine Trainingsstunde. Ich sitze auf einem Lehnstuhl, die Beine hochgelagert, mit einer Art Gumminetzhaube auf dem Kopf. An ihr sind EEG-Elektroden befestigt. Diese Elektroden messen durch den Schädelknochen die elektrischen Impulse, in denen meine Gehirnzellen miteinander kommunizieren. Die Daten werden in einen Computer geleitet, dort umgerechnet und auf einen Monitor übertragen, der vor mir steht.
Hirnwellen zeigen, wie intensiv unsere Gehirnzellen kommunizieren.

Hirnwellen zeigen, wie intensiv unsere Gehirnzellen kommunizieren.

© brainboost.de

Brainboost hat nicht nur die gehirngesteuerte Autorennbahn entwickelt, sondern auch verschiedene Videospiele. Auf dem Monitor vor mir, zum Beispiel, sitzt ein Mönch mit gekreuzten Beinen. Je tiefer ich mich entspanne, desto höher steigt er. Das ist meine einzige Aufgabe: Entspannungsgehirnwellen erzeugen. Meine Gehirnzellen zwischen acht- und zwölfmal pro Sekunde elektrische und chemische Informationen austauschen zu lassen, nicht öfter, nicht seltener.
Ich atme bewusster und langsamer aus: Der Mönch schwebt.
Ich bemühe mich, noch bewusster zu atmen: Er plumpst runter. Zu unentspannt entspannt, okay.
„Darum“, sagt Philipp Heiler, „geht es hier bei uns. Dass dein Gehirn sofort Feedback kriegt, ob das, was du gerade tust, richtig ist.“
Und mein Gehirn kapiert das?
„Ja. Es ist wie mit deiner Muskulatur und dem Fitnessstudio: Dein Organismus empfängt einen Trainingsreiz und verarbeitet ihn. Wie er das tut, kann dir ja egal sein. Dass deine Muskeln durch das Training stärker und größer werden, steuerst du ja auch nicht bewusst. Das passiert von allein.“
Aber im Fitnesscenter kann ich einen ganz gezielten Reiz auf einen einzelnen Muskel setzen: Bizeps, Wade, Brustmuskel. Wie präzise kann ich einzelne Gehirnbereiche mit Neurofeedback ansteuern?
„Das geht einigermaßen, ist aber in der Praxis nicht wesentlich. Wir möchten ja, dass du eine Fähigkeit verbesserst, eine Gewohnheit ablegst oder eine neue antrainierst, einen Zwang überwindest. Da spielen meist mehrere Gehirnbereiche zusammen. Es geht darum, dass du lernst, gewisse Regionen in gewisse Frequenzen zu bringen. Dein Gehirn kann das schon von allein. Vertrau ihm. Und je weiter du im Training kommst, desto spezifischer stellen wir das Training ein.“
Kann ich durch Neurofeedback kreativer werden?
„Du kannst lernen, dich in einen Zustand zu bringen, der Kreativität fördert. Ja.“ Entspannter? „Ja, ebenso.“ Konzentrierter? „Ja.“

Das Gehirn kann nicht nichts tun

Kann ich mir abgewöhnen, alle 30 Sekunden aufs Handy schauen zu müssen? Dass ich jeden Abend eine Tafel Schokolade verdrücke? Meinen Hang zur Prokrastination?
„Neurofeedback kann sehr gut bei allem helfen, was du in deinem Leben zwanghaft tust. Das kann sein, dass du jeden Tag fünf Bier trinken, zehn Kilometer laufen oder dass du dauernd aufs Handy schauen musst.“
Die matschigen 1,5 Kilo im Kopf sind genialer als alles, was wir Menschen erschaffen können.
Wie bringe ich meinem Gehirn konkret bei, dass es nicht jeden Abend eine Tafel Schokolade wollen soll? „Ganz kurz zusammengefasst: Das Gehirn kann nicht nichts tun. Es kann nicht ‚keine Schokolade essen‘. Es kann nur etwas anderes stattdessen tun, und dieses andere musst du dir angewöhnen. Du musst eine Ersatzhandlung etablieren, etwas, was sich jeden Abend durchführen lässt. Wir hatten zum Beispiel mal eine Patientin mit Bulimie. Mit ihr haben wir erarbeitet, dass sie nach jeder Mahlzeit zunächst mal zehn Minuten spazieren geht. Ganz konsequent, nach jeder Mahlzeit, einfach um den Reiz ‚essen‘ und die Reaktion ‚kotzen‘ zu entkoppeln.“
Und? Hat es geklappt?
„Ja.“
Wie lange dauert es, bis ich mir etwas Altes ab- und etwas Neues antrainiert habe?
„Der aktuelle Stand der Wissenschaft sagt: 66 Tage dauert es, um sich etwas abzugewöhnen – also mit Hilfe einer Ersatzhandlung –, 66 weitere, um sich eine neue Gewohnheit anzueignen. Der einzige Weg zum Erfolg ist Beharrlichkeit. Jeden Tag ein paar Minuten bringen dich über Wochen und Monate gesehen unglaublich weit.“

Erschöpft unter der Netzmütze

Eine Trainingseinheit bei Brainboost dauert etwa 40 Minuten, und man ist am Ende recht erschöpft unter der Netzmütze, tatsächlich so, als hätte der Kopf ein Workout hinter sich. Wie oft muss man das machen, bis es einen Effekt bringt? „Es ist wie im Fitnessstudio. Einmal ausprobieren bringt nichts. Wir bemerken dauerhafte Ergebnisse nach 20, 30 Sitzungen.“
Das heißt, ich muss 20-mal zu euch kommen, damit mein Gehirn besser funktioniert?
„Nein. Du kannst sehr viel zu Hause machen, ganz allein, und du kannst damit sehr weit kommen.“