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Könnten zum Trumpf im Kampf gegen den Stromausfall werden: E-Autos
© Renault Communications
Mobility
Blackout-Vorsorge Elektroauto
Vergiss Notstromaggregate, Kühlbox, Kurbelradio und Co. Die beste Vorsorge für einen möglichen Blackout parkt in deiner Garage.
Autor: Patrick Aulehla
5 min readPublished on
Im ersten Moment klingt das ziemlich verkehrt: Elektroautos sollen unser Stromnetz retten. Und das, obwohl sie durch ihre großen Batterien doch eigentlich als Stromfresser gelten? Ganz genau: Eine neue Technologie will sich nämlich genau diese großen Batterien zunutze machen und deren Energiereserven im Notfall in das Stromnetz einspeisen. Diese Technologie heißt bidirektionales Laden.

Energie mit Rückgaberecht

Bidirektionales Laden bedeutet, dass Elektroautos Strom nicht nur konsumieren, sondern dem Netz auch zurückgeben können. Entweder im kleinen Stil zuhause, dann spricht man von Vehicle-to-Home (V2H). Oder an das gesamte Stromnetz, dann ist von Vehicle-to-Grid (V2G) die Rede. Und das leuchtet ein: Denn rein statistisch gesehen stehen Fahrzeuge in Österreich 23 Stunden pro Tag (!) ungenutzt herum – dabei hätten sie als rollende Powerbanks viel größeres Potenzial.

Notstromaggregat Elektroauto

Wenn Blackout oder Stromausfall uns die Lichter ausdrehen, könnte man Elektroautos mit der V2H-Technologie beispielsweise als Notstromaggregat nutzen. Dafür wird an V2H-Ladestationen mit Inselfunktion gearbeitet, die den Strom aus der Fahrzeugbatterie in das Eigenheim leiten können. Und weil die Batterien von Elektroautos sehr viel Energie speichern können – im Regelfall zwischen 30 und 100 Kilowattstunden (kWh) –, sind schon kleinere Modelle in der Lage, einen Vier-Personen-Haushalt mehrere Tage mit Energie zu versorgen. Größere Modelle könnten das sogar eine ganze Woche lang.
Aber auch ohne Super-GAU hat die Technologie Potenzial. Im Alltag vor allem zur Kostenoptimierung: Wenn eine Photovoltaik-Anlage untertags mehr Strom produziert als man verbrauchen kann, wird der Überschuss einfach ins Auto geladen. Am Abend werden damit Waschmaschine und Geschirrspüler betrieben – völlig umsonst, versteht sich. Apropos umsonst: Die Anschaffung eines Notstromaggregats oder eines stationären Stromspeichers wäre durch V2H ebenfalls obsolet.

Mehr erneuerbare Energie, bessere CO2-Bilanz

Einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgt die V2G-Technologie. Elektroauto-Batterien sollen hierbei als Pufferspeicher für das Stromnetz zum Einsatz kommen, um etwa erneuerbare Energie besser nutzen zu können. Derzeit müssen erneuerbare Energien sofort aufgebraucht werden, weil es an entsprechenden Speichermöglichkeiten fehlt. Und das gelingt nicht immer: unregelmäßiges Auftreten von Wind und Sonne macht vorausschauende Planung schwierig – ein Teil dieser Energie bleibt meist ungenutzt. Deutschland hat beispielsweise 2019 ganze 6.500 Gigawattstunden erneuerbare Energie verfallen lassen, weil sie nicht verbraucht werden konnte. Das würde ausreichen, um 2,7 Millionen Elektroautos ein ganzes Jahr lang fahren zu lassen.
Will man diese Energie nun „haltbar“ machen, braucht es entsprechend große Zwischenlager. Und genau diese Aufgabe sollen unsere Elektroautos übernehmen. Schätzungen zufolge würden eine Million Fahrzeuge mit bidirektionaler Ladefunktion die gleiche Leistung erbringen wie ein Laufwasserkraftwerk.

Stromnetz-Joker für Belastungsspitzen

V2G schraubt aber nicht nur die CO2-Bilanz nach unten. Auch Belastungsspitzen im Stromnetz könnten durch unsere Elektroauto-Batterien glattgebügelt werden. Ein Beispiel: Wenn wir abends von der Arbeit nach Hause kommen und Waschmaschine, Geschirrspüler und Herdplatte starten, wird unser Energiesystem intensiv belastet. Umso größer diese Belastung ist, umso größer ist auch die Gefahr für Stromausfälle. Auch in solchen Momenten könnte man von Elektroautos als Pufferspeicher profitieren.
Das Fahrzeug wird beim Nachhausekommen an die bidirektionale Ladestation angeschlossen, die auf die Energie aus der Batterie zugreifen kann. Im Falle von Belastungsspitzen schickt die bidirektionale Ladestation den Strom in das Stromnetz – und wieder zurück, sobald die Anforderungen sinken. Ein intelligenter Controller regelt dabei, dass der gewünschte Ladestand – beispielsweise 80 Prozent um 07:00 Uhr morgens – erreicht wird. Auch der schnelle Arztbesuch wird durch V2G nicht gefährdet, ein Mindestladestand verbleibt immer in der Batterie.

The Circle of Life

Ob wir es glauben, oder nicht: Sogar nach ihrem Autoleben können die Batterien von Elektroautos noch nützlich sein. Stichwort Kreislaufwirtschaft: Die Renault Group baut mit der Advanced Battery Storage beispielsweise ein stationäres Speichersystem auf, das zum Großteil aus alten Fahrzeugakkus besteht. Speicherkapazität 70 Megawattstunden. Das entspricht in etwa dem täglichen Verbrauch einer 5.000-Einwohner-Stadt. Auch die Österreichische Post setzt die Überbleibsel ihrer elektrischen Zustellfahrzeuge ein, um daraus stationäre Speichersysteme zu bauen.
Renault setzt auf ein Speichersystem aus alten Autobatterien.
Renault setzt auf ein Speichersystem aus alten Autobatterien.© Renault Communications

Und warum gibt es bidirektionales Laden dann nicht schon längst?

Zuerst die gute Nachricht: Viele Elektroautos sind grundsätzlich für bidirektionales Laden vorbereitet. Auch erste Vehicle-to-Home-Ladestationen sind bereits erhältlich: Ford hat für den F-150 Lightning Pick-Up kürzlich ein Blackout-resistentes Ladesystem präsentiert – das gibt es aber nur für den amerikanischen Markt. Für Europa bietet die Firma Wallbox den „Quasar“ an, der ebenfalls V2H-fähig ist. Allerdings ohne Inselbetrieb. Wenn das Stromnetz also keine Energie mehr fördert, kann auch der Quasar nicht verwendet werden. Bis wir unsere Elektroautos wirklich als Notstromaggregat einsetzen können, wird es wohl noch ein, zwei Jahre dauern.
Etwas mehr Geduld erfordert die Vehicle-to-Grid-Technologie. Experten gehen von rund zehn Jahren aus, bis V2G flächendeckend ausgerollt wird. Neben der technischen Umsetzbarkeit geht es auch um rechtliche Fragen. Wie wird Strom beispielsweise abgegolten, der dem Netz im Notfall zur Hilfe kommt? Und was passiert mit den Gewinnen, die durch Strompreisschwankungen entstehen? Da haben besonders die großen, stationären Speichersysteme das Potenzial, mittelfristig zum Geschäftsmodell zu werden.
Erprobt und geforscht wird jedenfalls fleißig: Im niederländischen Utrecht zum Beispiel testet man beim Innovationsprojekt We Drive Solar zusammen mit Hyundai ein bidirektionales Ladesystem für V2H- und V2G-Anwendungen.
Oder auf der zu Madeira gehörenden portugiesischen Insel Porto Santo: Hier versuchen sich die Unternehmen The Mobility House und Renault Group an intelligentem Laden, Vehicle-to-Grid und stationären Speichersystemen, um die gesamte Insel CO2-frei zu machen.
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